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Solidarité depuis la conférence élargie du Secours Rouge International ces 25 et 26 mars à Zurich! Abattre le capitalisme, construire la solidarité !
La photo comprend les groupes participants à la construction d’un Secours Rouge International, ainsi que des invités politiques et des participants à la campagne de soutien aux internationalistes au Rojava.
Avec comme participants: la section belge Secours Rouge, le Collettivo Contro la Repressione pour la construction d’un SRI, les Proletari Torinesi Per Il Soccorso Rosso Internazionale Pt-Sri, le Rote Hilfe Schweiz, Tutsakların Sesi Platformu, Arbeitskreis Solidarität, le Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, Riscossa Proletaria per il Comunismo, le Réseau d’Agitation Genève.
La photo comprend les groupes participants à la construction d’un Secours Rouge International, ainsi que des invités politiques et des participants à la campagne de soutien aux internationalistes au Rojava.
Avec comme participants: la section belge Secours Rouge, le Collettivo Contro la Repressione pour la construction d’un SRI, les Proletari Torinesi Per Il Soccorso Rosso Internazionale Pt-Sri, le Rote Hilfe Schweiz, Tutsakların Sesi Platformu, Arbeitskreis Solidarität, le Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, Riscossa Proletaria per il Comunismo, le Réseau d’Agitation Genève.
Comme invités dans le cadre de la campagne de soutien aux internationalistes au Rojava: Revolutionäre Jugend Zürich – RJZ, OCML VP, YDG – İsviçre/Schweiz/Suisse, RJG Bern, le Revolutionärer Aufbau Schweiz (ses sections présentes sur Facebook Revolutionärer Aufbau Winterthur, Revolutionärer Aufbau Basel).
Solidarité avec Nekane, les prisonniers d’ATIK, Georges Abdallah, les internationalistes au Rojava, et tous les prisonniers politiques !
Solidarité avec Nekane, les prisonniers d’ATIK, Georges Abdallah, les internationalistes au Rojava, et tous les prisonniers politiques !
Ex-RAF-Angehörige zum Tod von Wienke Zitzlaff
Am 4. März starb Wienke Zitzlaff, die ältere Schwester Ulrike
Meinhofs, in ihrem Wohnort Hannover. Ihr Tod bewegte Menschen, die ihr
nahestanden, zu einem Nachruf, den sie jW übermittelten:
Wienke wollte 100 Jahre alt werden! Aber ihre fortschreitende Erblindung hat ihr zuletzt zu viel Kraft weggefressen – sie starb mit 85 Jahren.
Kennengelernt haben wir sie über ihre Schwester Ulrike, als sie sich mit anderen in der Angehörigengruppe engagierte, zum Schutz gegen die Zerstörung in der Isolation. Die Gruppe war überall präsent, tauchte in Pressekonferenzen und bei Justizministern auf, knüpfte europaweit und in die USA Kontakte.
Internationalistisch war Wienke schon geprägt aus der Zeit des Widerstands gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik in den 50er Jahren.
Wesentlich initiativ war sie auch bei der Schaffung einer internationalen Untersuchungskommission, um die Todesumstände Ulrikes zu klären. Jahre später hat sie mitgearbeitet an einer Dokumentation über »Todesschüsse, Isolation«, die beim UNO-Menschenrechtsausschuss eingereicht wurde.
Diese Aktivitäten waren konkreter Schutz für die Gefangenen und haben zu der Zeit nicht wenig polarisiert gegen die Vorherrschaft der BRD in Westeuropa.
Wienke hatte ein reiches Leben. Sie war vielseitig engagiert, als Lehrerin wegweisend für eine emanzipative Sonderpädagogik, als Feministin, in der Lesbenbewegung und hat konkret neue Lebensformen im Alter angepackt.
Sie reiste gern, ob nach Vietnam oder Kuba, sie brachte neue Erfahrungen mit, und in ihrer Wohnung vergingen kaum mehrere Tage, ohne dass Besucher bei ihr auftauchten und aufgenommen wurden. Sie hat lange und tiefe Freundschaften geschaffen. War wissbegierig, auch mal widerborstig.
Zuletzt musste sie erfahren, dass sie nachts vor ihren Augen Bilder sah, die sie bei Licht so sehr vermisste.
Wir werden sie in unserer Erinnerung behalten.
Ehemalige Mitglieder der RAF, Angehörige, Freundinnen und Freunde
22. März 2017
junge Welt 27.3.17
http://political-prisoners.net/item/4994-ex-raf-angehoerige-zum-tod-von-wienke-zitzlaff.html
Wienke wollte 100 Jahre alt werden! Aber ihre fortschreitende Erblindung hat ihr zuletzt zu viel Kraft weggefressen – sie starb mit 85 Jahren.
Kennengelernt haben wir sie über ihre Schwester Ulrike, als sie sich mit anderen in der Angehörigengruppe engagierte, zum Schutz gegen die Zerstörung in der Isolation. Die Gruppe war überall präsent, tauchte in Pressekonferenzen und bei Justizministern auf, knüpfte europaweit und in die USA Kontakte.
Internationalistisch war Wienke schon geprägt aus der Zeit des Widerstands gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik in den 50er Jahren.
Wesentlich initiativ war sie auch bei der Schaffung einer internationalen Untersuchungskommission, um die Todesumstände Ulrikes zu klären. Jahre später hat sie mitgearbeitet an einer Dokumentation über »Todesschüsse, Isolation«, die beim UNO-Menschenrechtsausschuss eingereicht wurde.
Diese Aktivitäten waren konkreter Schutz für die Gefangenen und haben zu der Zeit nicht wenig polarisiert gegen die Vorherrschaft der BRD in Westeuropa.
Wienke hatte ein reiches Leben. Sie war vielseitig engagiert, als Lehrerin wegweisend für eine emanzipative Sonderpädagogik, als Feministin, in der Lesbenbewegung und hat konkret neue Lebensformen im Alter angepackt.
Sie reiste gern, ob nach Vietnam oder Kuba, sie brachte neue Erfahrungen mit, und in ihrer Wohnung vergingen kaum mehrere Tage, ohne dass Besucher bei ihr auftauchten und aufgenommen wurden. Sie hat lange und tiefe Freundschaften geschaffen. War wissbegierig, auch mal widerborstig.
Zuletzt musste sie erfahren, dass sie nachts vor ihren Augen Bilder sah, die sie bei Licht so sehr vermisste.
Wir werden sie in unserer Erinnerung behalten.
Ehemalige Mitglieder der RAF, Angehörige, Freundinnen und Freunde
22. März 2017
junge Welt 27.3.17
http://political-prisoners.net/item/4994-ex-raf-angehoerige-zum-tod-von-wienke-zitzlaff.html
Internationaler FreeNekane-Aktionstag am 6. April 2017
Am 6. April 2016 wurde Nekane Txapartegi in Zürich verhaftet. Seither
sitzt sie in Auslieferungshaft. Die Behörden zögern ihren
erstinstanzlichen Entscheid bezüglich des Auslieferungsgesuches des
Spanischen Staates und Nekanes Asylgesuchs hinaus. Dennoch bleibt sie
stark und kämpft! Am Jahrestag der Verhaftung sagen wir: Es reicht!
Wir rufen dazu auf, den Jahrestag der Verhaftung von Nekane, den 6. April 2017, zu einem internationalen Aktionstag zu machen.Werdet kreativ und aktiv und organisiert etwas für Nekane! Sei es nur etwas kleines oder eine grosse Aktion.
Wir sammeln hier die geplanten Aktionen vom 6. April, die an verschiedensten Orten stattfinden. Solltet ihr etwas organisieren, oder von einer Aktion wissen, schickt uns die Info dazu auf: aktionstag@freenekane.ch
www.freenekane.ch
Wir rufen dazu auf, den Jahrestag der Verhaftung von Nekane, den 6. April 2017, zu einem internationalen Aktionstag zu machen.Werdet kreativ und aktiv und organisiert etwas für Nekane! Sei es nur etwas kleines oder eine grosse Aktion.
Wir sammeln hier die geplanten Aktionen vom 6. April, die an verschiedensten Orten stattfinden. Solltet ihr etwas organisieren, oder von einer Aktion wissen, schickt uns die Info dazu auf: aktionstag@freenekane.ch
www.freenekane.ch
Ciao Claude.
In der Nacht auf Sonntag, 12. März 2017, ist Claude Hentz
gestorben. Claude Hentz war ein Rechtsanwalt in Zürich, der stets enorm
solidarisch verschiedenste GenossInnen tatkräftig unterstützte. Claude
war ein Genosse, dessen Politisierung mit der Zürcher Bewegung 1980
begann. Von Anfang an war er in verschiedenen Zusammenhängen aktiv, in
denen es jeweils um das Verhältnis zwischen kämpfender Bewegung und der
Klassenjustiz ging. Er prägte Strukturen wie das Anwaltskollektiv, baute
das Pikett “Strafverteidigung” in Zürich auf und war ein Garant für
eine klare politische Position in jeder juristischen Konfrontation. Wir
werden ihn vermissen. Ciao Claude.
Gegen die Mühlen des Apparats
Interview: Heinz Nigg
Claude Hentz.
Geboren 1956 in St. Paul, Minnesota.
Arbeitete als Sekretär im Anwaltskollektiv Zürich und in dessen Rechtsauskunftsstelle.
Heute Rechtsanwalt in der Advokatur Gartenhof.
Mein Vater war Österreicher und stammte aus einer Familie von Berufsmilitärs. Er studierte Ingenieur. Im Krieg wurde er verletzt und verlor einen Arm. Dank seiner Sprachkenntnisse wurde er während des Kriegs von den Amis als Dolmetscher beschäftigt. Dann arbeitete er ein Leben lang als Manager für die amerikanische Firma 3M. Meine Mutter kommt aus einer streng katholischen Familie aus dem Wallis und wuchs im Tessin auf. Sie lernte meinen Vater in Zürich kennen, wo sie als kaufmännische Angestellte auf einer Bank arbeitete. Sie heirateten, zogen nach St. Paul, Minnesota, wo sich der Hauptsitz von 3M befindet, und hatten drei Kinder. Mit 27 erkrankte meine Mutter an Krebs, und wir kehrten mit ihr in die Schweiz zurück. Als sie starb, war ich gerade vier Jahre alt. Mein Vater heiratete wieder, und durch ein Entgegenkommen seiner Firma wurde er nach Europa versetzt, zuerst nach Basel, dann nach Lausanne, Wien und zuletzt nach Zürich.
Wie hattest du dich in Zürich eingelebt?
Wir wohnten zuerst in Seebach in einem modernen Wohnblock, umgeben von vielen Genossenschaftshäusern. Das war ein raueres soziales Umfeld als in Wien, wo ich die amerikanische Schule besuchte und ein von Jesuiten geführtes Knabeninternat. Nun musste ich mich wehren, mich prügeln und den Mädchen imponieren. Mit meinem österreichischen Akzent wurde ich als Ausländer angeschaut. Ich machte die fünfte und sechste Primarklasse in Seebach und ging ins Gymnasium Freudenberg. Das war im Jahr 1969 – während einer sehr aufmüpfigen Zeit! Ein Maturand wurde gerade von der Schule geschmissen. Es ging darum, dass sich die Schüler nicht politisch äussern durften – auf Wandzeitungen und in der Schülerzeitung. Auch wenn ich ein scheuer Erstklässler war, spürte ich diesen Nimbus von Frechheit und vom Sich-nicht-Einordnen. Bei den Lehrern hatte es rebellische Geister. Mein Spanischlehrer war zum Beispiel Fritz Zorn, der mit seinem Buch «Mars», einer schonungslosen Abrechnung mit dem Grossbürgertum, berühmt wurde.
Wie war das Klima in deiner Familie?
Die Frau hielt die Familie zusammen, und mein Vater brachte das Geld nach Hause. Meinem Vater waren Leistung und Karriere sehr wichtig. Was er von uns im Hause abverlangte, hat er auch selbst erbracht, obwohl ihm ein Arm fehlte. Er machte alles. Es war aber gegenüber uns Kindern nicht fordernd, sondern eher liebevoll. Während der Pubertät wurde es schwierig. Mein zwei Jahre älterer Bruder hatte überall Lämpen und war von zu Hause ausgerissen. Auch ich zog mit sechzehn von zu Hause aus, weil es immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen war. Meine Eltern fanden für mich ein Zimmer bei einer Schlummermutter mitten in der Stadt. Von dort aus ging ich weiter zur Schule.
Wie war das, so auf dich selbst angewiesen zu sein?
Weil mein Sackgeld nicht reichte, ging ich heimlich auf die Sihlpost als Expressbote arbeiten. Mit dem Velo fuhr ich in der ganzen Stadt herum und verteilte Expressbriefe und Telegramme. Damals bekam man noch einiges Trinkgeld. In die Telegramm-Couverts konntest du hineinblasen und so den Text lesen. Handelte es sich um eine freudige Nachricht, bist du besonders freundlich gewesen. Bei etwas Dramatischem hast du eher eine ernste Miene aufgesetzt. Auf der Sihlpost lernte ich ein lustiges Konglomerat von Leuten kennen. Da hatte es Hippies, Freaks, Studenten und Mittelschüler wie ich. Meine erste grosse Liebe war eine Arbeitskollegin. Sie stand kurz vor der Matur, war also etwas älter als ich. Schon bald lernte ich das Kommuneleben in Zürich kennen. Zusammen mit meiner Freundin und sechs anderen Leuten gründeten wir eine eigene Wohngemeinschaft an der Selnaustrasse. Ich war damals an allem interessiert, was mit neuen Wohnformen zu tun hatte.
Was machtest du nach der Matura?
Ich wollte nicht studieren und fand einen Job als Hauslehrer in der Familie eines Rechtsanwalts. Ich gab den Kindern Nachhilfeunterricht und hütete sie, wenn die Eltern weg waren. Auch machte ich Putzarbeiten. Ich befreundete mich mit dieser Familie, und im Hause dieses Anwalts roch ich zum ersten Mal an der Juristerei. Über gemeinsame Wohn- und Arbeitsprojekte lernte ich später die Leute vom linken Anwaltskollektiv in Zürich kennen und begann dort Anfang 1980 als Sekretär zu arbeiten. Das heisst, ich erledigte anfänglich Schreibarbeiten für die Anwälte. Das Anwaltskollektiv wurde 1975 gegründet und kam mit seiner täglichen Rechtsauskunft einem grossen Bedürfnis entgegen: Für zwanzig Franken konntest du eine Beratung erhalten, häufig haben sie für dich noch einen Brief geschrieben oder ein Telefon gemacht. Das war gegen alle Tarifstrukturen und Konventionen, so dass du möglichst niederschwellig zu deinem Recht kommen konntest.
Wie hast du auf den Ausbruch der Unruhen im Frühjahr 1980 reagiert?
Schon nach der ersten Krawallnacht wurden wir im Anwaltskollektiv damit konfrontiert, dass unzählige Leute verhaftet worden waren. Wir begannen einen Anwaltspool zu organisieren und Anleitungen herauszugeben, wie man sich verhalten soll, wenn man verhaftet wird: Was sind deine Rechte, und wann soll man Aussagen verweigern. Mein Kontakt zur 80er-Bewegung war intensiv. Im Anwaltskollektiv hatten wir noch einen zweiten Stock. Den stellten wir der spontan gebildeten Knastgruppe zur Verfügung. Da war ich von Anfang an dabei. Das war eine spannende und konspirative Tätigkeit. Die Knastgruppe war eine Anlaufstelle für alle, die in die Fänge der Justiz gerieten. Wir bereiteten Strafanzeigen gegen Polizisten vor, die wir bei Übergriffen gegen DemonstrantInnen ertappt hatten.
Welches war die Taktik der Verteidigung, wenn DemonstrantInnen vor dem Richter standen?
Wenn jemand die Aussage verweigerte, hatte die Anklage die Beweislast. Sie musste nachweisen, dass der Angeklagte an einem bestimmten Ort gewesen war. Zeugen mussten aufgeboten werden, um bei einer Gegenüberstellung mit dem Angeklagten und einer Gruppe von ähnlich aussehenden Personen richtig zu tippen. Wenn sie danebentippten, wurde das Verfahren eingestellt. Der Justizapparat investierte allerdings viel, um die Leute verurteilen zu können.
Wurden bei den Veurteilungen auch mildernde Umstände berücksichtigt?
Wesentlicher war, dass Exponenten der Bewegung und solche, die sich den Strafverfahren verweigerten, härter bestraft wurden. Es gab etliche, die keine mildernden Umstände für sich geltend machen liessen oder sich den Prozessen gänzlich verweigerten wie der durch seinen Fernsehauftritt als «Herr Müller» bekannt gewordene Aktivist. An ihm wurde ein Exempel statuiert. Als eine der Symbolfiguren der Bewegung deckten sie ihn mit einer Strafe von vierzehn Monaten unbedingt ein.
Welche psychischen Auswirkungen hatten die Strafverfahren auf die Verurteilten?
Es kam ganz drauf an, wie gut jemand in eine Szene eingebettet war. Wenn einer verhaftet wurde, der zum Beispiel in einer Kommune oder in einer Wohngemeinschaft lebte, kümmerten sich die MitbewohnerInnen natürlich um ihn und holten Rechtshilfe. Wenn dann eine wegen eines Vergehens drei oder vier Wochen Gefängnis erhielt, war dies für jemanden aus einer solchen Szene einigermassen verkraftbar. Ganz anders war das zum Beispiel für einen Lehrling, der bei einer Demonstration mitmachte und verhaftet wurde. Natürlich war er vielleicht auch mit Kollegen dort. Aber den ganzen Konflikt, den er nachher hatte – mit den Eltern, dem Lehrmeister und mit der Frage, wie es für ihn weiterginge -, musste er alleine austragen. Viele, die nicht gut vernetzt waren, sind abgestürzt und aus der Bewegung wieder herausgespült worden. Die haben wirklich einen Schuh voll herausgezogen. Etliche Drogenkarrieren nahmen damals ihren Anfang.
Auch darf man nicht die Wirkung der Untersuchungshaft unterschätzen. Am Anfang der Unruhen, als ich einmal verhaftet wurde, war ich nach zwanzig Stunden wieder draussen. Aber manche sassen viel länger in U-Haft, zwei Wochen und mehr. Das war ein Instrument, um Druck auf die Bewegung zu machen und uns zu verstehen zu geben: Jetzt lassen wir nichts mehr durch.
Wie ging es für dich und das Anwaltskollektiv nach dem Ende der Bewegung weiter?
Gegen tausend Leute wurden allein in Zürich in Strafverfahren verwickelt, kamen also in die Mühlen des Apparats hinein. Viele wurden verurteilt, auch wenn es kleinere Strafen waren. Auch das zeigte seine Wirkung. Charakteristisch für die 80er-Bewegung war ja die Vielfalt der Ausdrucksformen – von militant bis dadaistisch witzig. Jetzt blieben die Fronten verhärtet, und die Militanz durch einzelne Gruppen nahm zu. Es kamen die Winterthurer Prozesse. Da ging es um militante Jugendliche, die durch einen Sprengstoffanschlag auf den Fensterladen von alt Bundesrat Friedrich sowie durch eine Reihe von Brandanschlägen und Sprayereien in der Stadt Winterthur aufgefallen waren. Das ganze Umfeld des harten Kerns wurde eingesackt. Meine Aufgabe war es, Anwälte für diese dreissig Leute aufzubieten und eine Gruppe von betroffenen Eltern zu koordinieren. Mit der Knastgruppe wurde eine Demo organisiert. Das war dringend notwendig, weil in Winterthur die Repression unerbittlich zugeschlagen hatte, ungeachtet des Alters der Verhafteten, ihrer Lebensumstände und ihrer Rolle in dieser Szene. Das Umfeld und die Freundinnen wurden zum Beispiel in Untersuchungshaft gesetzt, um mit Druck Informationen über den harten Kern, die «bösen Buben», zu kriegen In dieser Situation änderten wir im Anwaltskollektiv unsere Taktik. Es war eine Abkehr vom Klandestinen. Mit Witz stellten wir uns öffentlich hinter die Jugendlichen. Während zehn Tagen kochten wir in einer Szenenbeiz von Winterthur. Das machte Spass und zeigte allen, wie wichtig die Solidarität mit den Anliegen der Jugendlichen war, auch wenn man mit ihrer Politik und ihrem Vorgehen nicht immer einverstanden war. Auch später, bei den Häuserbesetzungen am Stauffacher in Zürich, setzte sich die Abkehr vom Klandestinen zum öffentlich-witzigen Agieren durch.
Wie konntet ihr den Andrang in eurer Rechtsberatung bewältigen?
Wir konnten das alles nicht mehr alleine machen. Wir schufen ein neues Gebilde: den Verein Rechtsauskunftsstelle Anwaltskollektiv. Diese Beratungsstelle gliederten wir aus unserem Kollektiv aus. Sie blieb zwar am gleichen Ort, aber die Arbeit wurde auf mehr Anwältinnen und Anwälte verteilt. Heute sind es etwa siebzig AnwältInnen, die die Rechtsauskunft mit einem monatlichen Beitrag unterstützen und im Turnus Beratungen erteilen. Zehn Jahre war ich Generalsekretär dieses Vereins, baute ihn auf und aus. Ich machte das sehr gerne, und nebenbei war ich und die Rechtsauskunftsstelle an mehreren politischen Kampagnen beteiligt: gegen den Neubau von Gefängnissen, gegen das Polizeigesetz oder für die Initiative «Rechtsschutz in Strafsachen». Auch initiierten wir das Pikett «Strafverteidigung». Das ist ein Pikettdienst, der im Falle von Verhaftungen Anwälte organisiert. Nach zehn Jahren machte ich einen Unterbruch von einem halben Jahr, fuhr nach Südamerika und lebte auf einem Segelboot, um mir den Kopf zu verlüften. Dann entschloss ich mich, nach so vielen Erfahrungen mit der Justiz neben meiner Arbeit das Jus-Studium nachzuholen und das Anwaltspatent zu erwerben. Seither praktiziere ich als Anwalt im gleichen Umfeld, wo ich nun seit zwanzig Jahren tätig bin, allerdings mit einer neuen Crew. Unser Büro ist vor allem im Strafbereich engagiert. Wir organisieren jährlich einen Strafverteidigerkongress, um dem gegenwärtigen Rollback im Strafrecht und im Strafvollzugsrecht etwas entgegenzusetzen. Wir sind dagegen, dass gesellschaftliche Probleme primär mit strafrechtlichen Mitteln angegangen werden oder mit dem Mittel der Psychiatrisierung.
Lohnt es sich, gegen Unrecht einzustehen?
Ich komme aus der linken Tradition der siebziger Jahre, angefangen vom Gefängniskritiker Foucault bis hin zur Auseinandersetzung um Baader/Meinhof und RAF. Aus dieser Tradition der radikalen Staatskritik heraus stellt das Strafen im Grunde einen Unsinn dar. Der Repressionsapparat wird immer dann eingesetzt, wenn eigentlich gesellschaftliche Konflikte gelöst werden müssten. Gerade die Achtziger setzten demgegenüber alles auf die Autonomie, das heisst auf das eigene Lösen von Problemen. Der Staat hätte die hohen Kosten der Repression im Drogenbereich durchaus sparen können, wenn dem Experiment der kontrollierten Drogenabgabe im AJZ mehr Beachtung geschenkt worden wäre. Die Idealvorstellungen einer repressionsfreien Gesellschaft liegen heute am Boden. Bis weit in linke und feministische Kreise hat sich das Primat der Strafverfolgung durchgesetzt. Beim Umweltschutz, bei den Sexualstraftätern – überall wird auf Bestrafung gepocht. Mit diesem Selbstverständnis werden wichtige Instrumente der Prävention, des gesellschaftlichen Diskurses und der Selbsthilfe geopfert: in Zürich die Gassenarbeit der ZAGJP, das Frauenhaus, ein Treffpunkt für Kosovo-Albaner usw. Das hat einen grossen Flurschaden verursacht. Die Gesellschaft muss fähig sein, sich zu verändern und neue Ansätze der Konfliktlösung zu finden, ohne auf die repressiven Instrumente zurückzugreifen und im Strafen zu verharren.
http://www.av-produktionen.ch/80/port/hentz.html
Gegen die Mühlen des Apparats
Interview: Heinz Nigg
Claude Hentz.
Geboren 1956 in St. Paul, Minnesota.
Arbeitete als Sekretär im Anwaltskollektiv Zürich und in dessen Rechtsauskunftsstelle.
Heute Rechtsanwalt in der Advokatur Gartenhof.
Mein Vater war Österreicher und stammte aus einer Familie von Berufsmilitärs. Er studierte Ingenieur. Im Krieg wurde er verletzt und verlor einen Arm. Dank seiner Sprachkenntnisse wurde er während des Kriegs von den Amis als Dolmetscher beschäftigt. Dann arbeitete er ein Leben lang als Manager für die amerikanische Firma 3M. Meine Mutter kommt aus einer streng katholischen Familie aus dem Wallis und wuchs im Tessin auf. Sie lernte meinen Vater in Zürich kennen, wo sie als kaufmännische Angestellte auf einer Bank arbeitete. Sie heirateten, zogen nach St. Paul, Minnesota, wo sich der Hauptsitz von 3M befindet, und hatten drei Kinder. Mit 27 erkrankte meine Mutter an Krebs, und wir kehrten mit ihr in die Schweiz zurück. Als sie starb, war ich gerade vier Jahre alt. Mein Vater heiratete wieder, und durch ein Entgegenkommen seiner Firma wurde er nach Europa versetzt, zuerst nach Basel, dann nach Lausanne, Wien und zuletzt nach Zürich.
Wie hattest du dich in Zürich eingelebt?
Wir wohnten zuerst in Seebach in einem modernen Wohnblock, umgeben von vielen Genossenschaftshäusern. Das war ein raueres soziales Umfeld als in Wien, wo ich die amerikanische Schule besuchte und ein von Jesuiten geführtes Knabeninternat. Nun musste ich mich wehren, mich prügeln und den Mädchen imponieren. Mit meinem österreichischen Akzent wurde ich als Ausländer angeschaut. Ich machte die fünfte und sechste Primarklasse in Seebach und ging ins Gymnasium Freudenberg. Das war im Jahr 1969 – während einer sehr aufmüpfigen Zeit! Ein Maturand wurde gerade von der Schule geschmissen. Es ging darum, dass sich die Schüler nicht politisch äussern durften – auf Wandzeitungen und in der Schülerzeitung. Auch wenn ich ein scheuer Erstklässler war, spürte ich diesen Nimbus von Frechheit und vom Sich-nicht-Einordnen. Bei den Lehrern hatte es rebellische Geister. Mein Spanischlehrer war zum Beispiel Fritz Zorn, der mit seinem Buch «Mars», einer schonungslosen Abrechnung mit dem Grossbürgertum, berühmt wurde.
Wie war das Klima in deiner Familie?
Die Frau hielt die Familie zusammen, und mein Vater brachte das Geld nach Hause. Meinem Vater waren Leistung und Karriere sehr wichtig. Was er von uns im Hause abverlangte, hat er auch selbst erbracht, obwohl ihm ein Arm fehlte. Er machte alles. Es war aber gegenüber uns Kindern nicht fordernd, sondern eher liebevoll. Während der Pubertät wurde es schwierig. Mein zwei Jahre älterer Bruder hatte überall Lämpen und war von zu Hause ausgerissen. Auch ich zog mit sechzehn von zu Hause aus, weil es immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen war. Meine Eltern fanden für mich ein Zimmer bei einer Schlummermutter mitten in der Stadt. Von dort aus ging ich weiter zur Schule.
Wie war das, so auf dich selbst angewiesen zu sein?
Weil mein Sackgeld nicht reichte, ging ich heimlich auf die Sihlpost als Expressbote arbeiten. Mit dem Velo fuhr ich in der ganzen Stadt herum und verteilte Expressbriefe und Telegramme. Damals bekam man noch einiges Trinkgeld. In die Telegramm-Couverts konntest du hineinblasen und so den Text lesen. Handelte es sich um eine freudige Nachricht, bist du besonders freundlich gewesen. Bei etwas Dramatischem hast du eher eine ernste Miene aufgesetzt. Auf der Sihlpost lernte ich ein lustiges Konglomerat von Leuten kennen. Da hatte es Hippies, Freaks, Studenten und Mittelschüler wie ich. Meine erste grosse Liebe war eine Arbeitskollegin. Sie stand kurz vor der Matur, war also etwas älter als ich. Schon bald lernte ich das Kommuneleben in Zürich kennen. Zusammen mit meiner Freundin und sechs anderen Leuten gründeten wir eine eigene Wohngemeinschaft an der Selnaustrasse. Ich war damals an allem interessiert, was mit neuen Wohnformen zu tun hatte.
Was machtest du nach der Matura?
Ich wollte nicht studieren und fand einen Job als Hauslehrer in der Familie eines Rechtsanwalts. Ich gab den Kindern Nachhilfeunterricht und hütete sie, wenn die Eltern weg waren. Auch machte ich Putzarbeiten. Ich befreundete mich mit dieser Familie, und im Hause dieses Anwalts roch ich zum ersten Mal an der Juristerei. Über gemeinsame Wohn- und Arbeitsprojekte lernte ich später die Leute vom linken Anwaltskollektiv in Zürich kennen und begann dort Anfang 1980 als Sekretär zu arbeiten. Das heisst, ich erledigte anfänglich Schreibarbeiten für die Anwälte. Das Anwaltskollektiv wurde 1975 gegründet und kam mit seiner täglichen Rechtsauskunft einem grossen Bedürfnis entgegen: Für zwanzig Franken konntest du eine Beratung erhalten, häufig haben sie für dich noch einen Brief geschrieben oder ein Telefon gemacht. Das war gegen alle Tarifstrukturen und Konventionen, so dass du möglichst niederschwellig zu deinem Recht kommen konntest.
Wie hast du auf den Ausbruch der Unruhen im Frühjahr 1980 reagiert?
Schon nach der ersten Krawallnacht wurden wir im Anwaltskollektiv damit konfrontiert, dass unzählige Leute verhaftet worden waren. Wir begannen einen Anwaltspool zu organisieren und Anleitungen herauszugeben, wie man sich verhalten soll, wenn man verhaftet wird: Was sind deine Rechte, und wann soll man Aussagen verweigern. Mein Kontakt zur 80er-Bewegung war intensiv. Im Anwaltskollektiv hatten wir noch einen zweiten Stock. Den stellten wir der spontan gebildeten Knastgruppe zur Verfügung. Da war ich von Anfang an dabei. Das war eine spannende und konspirative Tätigkeit. Die Knastgruppe war eine Anlaufstelle für alle, die in die Fänge der Justiz gerieten. Wir bereiteten Strafanzeigen gegen Polizisten vor, die wir bei Übergriffen gegen DemonstrantInnen ertappt hatten.
Welches war die Taktik der Verteidigung, wenn DemonstrantInnen vor dem Richter standen?
Wenn jemand die Aussage verweigerte, hatte die Anklage die Beweislast. Sie musste nachweisen, dass der Angeklagte an einem bestimmten Ort gewesen war. Zeugen mussten aufgeboten werden, um bei einer Gegenüberstellung mit dem Angeklagten und einer Gruppe von ähnlich aussehenden Personen richtig zu tippen. Wenn sie danebentippten, wurde das Verfahren eingestellt. Der Justizapparat investierte allerdings viel, um die Leute verurteilen zu können.
Wurden bei den Veurteilungen auch mildernde Umstände berücksichtigt?
Wesentlicher war, dass Exponenten der Bewegung und solche, die sich den Strafverfahren verweigerten, härter bestraft wurden. Es gab etliche, die keine mildernden Umstände für sich geltend machen liessen oder sich den Prozessen gänzlich verweigerten wie der durch seinen Fernsehauftritt als «Herr Müller» bekannt gewordene Aktivist. An ihm wurde ein Exempel statuiert. Als eine der Symbolfiguren der Bewegung deckten sie ihn mit einer Strafe von vierzehn Monaten unbedingt ein.
Welche psychischen Auswirkungen hatten die Strafverfahren auf die Verurteilten?
Es kam ganz drauf an, wie gut jemand in eine Szene eingebettet war. Wenn einer verhaftet wurde, der zum Beispiel in einer Kommune oder in einer Wohngemeinschaft lebte, kümmerten sich die MitbewohnerInnen natürlich um ihn und holten Rechtshilfe. Wenn dann eine wegen eines Vergehens drei oder vier Wochen Gefängnis erhielt, war dies für jemanden aus einer solchen Szene einigermassen verkraftbar. Ganz anders war das zum Beispiel für einen Lehrling, der bei einer Demonstration mitmachte und verhaftet wurde. Natürlich war er vielleicht auch mit Kollegen dort. Aber den ganzen Konflikt, den er nachher hatte – mit den Eltern, dem Lehrmeister und mit der Frage, wie es für ihn weiterginge -, musste er alleine austragen. Viele, die nicht gut vernetzt waren, sind abgestürzt und aus der Bewegung wieder herausgespült worden. Die haben wirklich einen Schuh voll herausgezogen. Etliche Drogenkarrieren nahmen damals ihren Anfang.
Auch darf man nicht die Wirkung der Untersuchungshaft unterschätzen. Am Anfang der Unruhen, als ich einmal verhaftet wurde, war ich nach zwanzig Stunden wieder draussen. Aber manche sassen viel länger in U-Haft, zwei Wochen und mehr. Das war ein Instrument, um Druck auf die Bewegung zu machen und uns zu verstehen zu geben: Jetzt lassen wir nichts mehr durch.
Wie ging es für dich und das Anwaltskollektiv nach dem Ende der Bewegung weiter?
Gegen tausend Leute wurden allein in Zürich in Strafverfahren verwickelt, kamen also in die Mühlen des Apparats hinein. Viele wurden verurteilt, auch wenn es kleinere Strafen waren. Auch das zeigte seine Wirkung. Charakteristisch für die 80er-Bewegung war ja die Vielfalt der Ausdrucksformen – von militant bis dadaistisch witzig. Jetzt blieben die Fronten verhärtet, und die Militanz durch einzelne Gruppen nahm zu. Es kamen die Winterthurer Prozesse. Da ging es um militante Jugendliche, die durch einen Sprengstoffanschlag auf den Fensterladen von alt Bundesrat Friedrich sowie durch eine Reihe von Brandanschlägen und Sprayereien in der Stadt Winterthur aufgefallen waren. Das ganze Umfeld des harten Kerns wurde eingesackt. Meine Aufgabe war es, Anwälte für diese dreissig Leute aufzubieten und eine Gruppe von betroffenen Eltern zu koordinieren. Mit der Knastgruppe wurde eine Demo organisiert. Das war dringend notwendig, weil in Winterthur die Repression unerbittlich zugeschlagen hatte, ungeachtet des Alters der Verhafteten, ihrer Lebensumstände und ihrer Rolle in dieser Szene. Das Umfeld und die Freundinnen wurden zum Beispiel in Untersuchungshaft gesetzt, um mit Druck Informationen über den harten Kern, die «bösen Buben», zu kriegen In dieser Situation änderten wir im Anwaltskollektiv unsere Taktik. Es war eine Abkehr vom Klandestinen. Mit Witz stellten wir uns öffentlich hinter die Jugendlichen. Während zehn Tagen kochten wir in einer Szenenbeiz von Winterthur. Das machte Spass und zeigte allen, wie wichtig die Solidarität mit den Anliegen der Jugendlichen war, auch wenn man mit ihrer Politik und ihrem Vorgehen nicht immer einverstanden war. Auch später, bei den Häuserbesetzungen am Stauffacher in Zürich, setzte sich die Abkehr vom Klandestinen zum öffentlich-witzigen Agieren durch.
Wie konntet ihr den Andrang in eurer Rechtsberatung bewältigen?
Wir konnten das alles nicht mehr alleine machen. Wir schufen ein neues Gebilde: den Verein Rechtsauskunftsstelle Anwaltskollektiv. Diese Beratungsstelle gliederten wir aus unserem Kollektiv aus. Sie blieb zwar am gleichen Ort, aber die Arbeit wurde auf mehr Anwältinnen und Anwälte verteilt. Heute sind es etwa siebzig AnwältInnen, die die Rechtsauskunft mit einem monatlichen Beitrag unterstützen und im Turnus Beratungen erteilen. Zehn Jahre war ich Generalsekretär dieses Vereins, baute ihn auf und aus. Ich machte das sehr gerne, und nebenbei war ich und die Rechtsauskunftsstelle an mehreren politischen Kampagnen beteiligt: gegen den Neubau von Gefängnissen, gegen das Polizeigesetz oder für die Initiative «Rechtsschutz in Strafsachen». Auch initiierten wir das Pikett «Strafverteidigung». Das ist ein Pikettdienst, der im Falle von Verhaftungen Anwälte organisiert. Nach zehn Jahren machte ich einen Unterbruch von einem halben Jahr, fuhr nach Südamerika und lebte auf einem Segelboot, um mir den Kopf zu verlüften. Dann entschloss ich mich, nach so vielen Erfahrungen mit der Justiz neben meiner Arbeit das Jus-Studium nachzuholen und das Anwaltspatent zu erwerben. Seither praktiziere ich als Anwalt im gleichen Umfeld, wo ich nun seit zwanzig Jahren tätig bin, allerdings mit einer neuen Crew. Unser Büro ist vor allem im Strafbereich engagiert. Wir organisieren jährlich einen Strafverteidigerkongress, um dem gegenwärtigen Rollback im Strafrecht und im Strafvollzugsrecht etwas entgegenzusetzen. Wir sind dagegen, dass gesellschaftliche Probleme primär mit strafrechtlichen Mitteln angegangen werden oder mit dem Mittel der Psychiatrisierung.
Lohnt es sich, gegen Unrecht einzustehen?
Ich komme aus der linken Tradition der siebziger Jahre, angefangen vom Gefängniskritiker Foucault bis hin zur Auseinandersetzung um Baader/Meinhof und RAF. Aus dieser Tradition der radikalen Staatskritik heraus stellt das Strafen im Grunde einen Unsinn dar. Der Repressionsapparat wird immer dann eingesetzt, wenn eigentlich gesellschaftliche Konflikte gelöst werden müssten. Gerade die Achtziger setzten demgegenüber alles auf die Autonomie, das heisst auf das eigene Lösen von Problemen. Der Staat hätte die hohen Kosten der Repression im Drogenbereich durchaus sparen können, wenn dem Experiment der kontrollierten Drogenabgabe im AJZ mehr Beachtung geschenkt worden wäre. Die Idealvorstellungen einer repressionsfreien Gesellschaft liegen heute am Boden. Bis weit in linke und feministische Kreise hat sich das Primat der Strafverfolgung durchgesetzt. Beim Umweltschutz, bei den Sexualstraftätern – überall wird auf Bestrafung gepocht. Mit diesem Selbstverständnis werden wichtige Instrumente der Prävention, des gesellschaftlichen Diskurses und der Selbsthilfe geopfert: in Zürich die Gassenarbeit der ZAGJP, das Frauenhaus, ein Treffpunkt für Kosovo-Albaner usw. Das hat einen grossen Flurschaden verursacht. Die Gesellschaft muss fähig sein, sich zu verändern und neue Ansätze der Konfliktlösung zu finden, ohne auf die repressiven Instrumente zurückzugreifen und im Strafen zu verharren.
http://www.av-produktionen.ch/80/port/hentz.html
Turkey: Indefinite-irreversible hunger strike of PAJK/PKK prisoners on day 20
The indefinite-irreversible hunger strike of PAJK/PKK prisoners in İzmir’s Şakran Prison is on its 20th day.
Political prisoners of PAJK (Kurdistan Women’s Liberation Party) and PKK (Kurdistan Workers’ Party) in İzmir’s Aliağa Campus of Prisons started an indefinite-irreversible hunger strike on February 15 to protest the isolation imposed upon Kurdish People’s Leader Abdullah Öcalan and the continued rights violations and physical and psychological torture in prisons.
The hunger strike is on its 20th day, with 8 prisoners from T2, 5 from T3 and 5 from the women’s department.
The Şakran Prison has turned into a systemic torture center and every day new incidences of rights violations and torture come to light. Families going for visitations are subjected to mistreatment and physical torture in the prison and healthy communication with the arrestees is impossible due to communication penalties issued to prisoners.
The prisoners on hunger strike sent a message through their lawyers, which is as follows;
“We as PAJK and PKK prisoners in Şakran, 8 men and 5 women, started an indefinite-irreversible hunger strike on February 15 to protest the aggravated isolation of our Leader, the ongoing State of Emergency (OHAL) process, and to demand a return to the process of resolution and negotiations. More inmates from other prisons in Şakran are joining the hunger strike every day.
The practices put into effect during the recent process of OHAL and statuary decrees are at an unacceptable level. We call on our our people and public opinion to show sensitivity.
PKK and PAJK prisoners.”
http://www.anfenglish.com/human-rights/indefinite-irreversible-hunger-strike-of-pajk-pkk-prisoners-on-day-20
Political prisoners of PAJK (Kurdistan Women’s Liberation Party) and PKK (Kurdistan Workers’ Party) in İzmir’s Aliağa Campus of Prisons started an indefinite-irreversible hunger strike on February 15 to protest the isolation imposed upon Kurdish People’s Leader Abdullah Öcalan and the continued rights violations and physical and psychological torture in prisons.
The hunger strike is on its 20th day, with 8 prisoners from T2, 5 from T3 and 5 from the women’s department.
The Şakran Prison has turned into a systemic torture center and every day new incidences of rights violations and torture come to light. Families going for visitations are subjected to mistreatment and physical torture in the prison and healthy communication with the arrestees is impossible due to communication penalties issued to prisoners.
The prisoners on hunger strike sent a message through their lawyers, which is as follows;
“We as PAJK and PKK prisoners in Şakran, 8 men and 5 women, started an indefinite-irreversible hunger strike on February 15 to protest the aggravated isolation of our Leader, the ongoing State of Emergency (OHAL) process, and to demand a return to the process of resolution and negotiations. More inmates from other prisons in Şakran are joining the hunger strike every day.
The practices put into effect during the recent process of OHAL and statuary decrees are at an unacceptable level. We call on our our people and public opinion to show sensitivity.
PKK and PAJK prisoners.”
http://www.anfenglish.com/human-rights/indefinite-irreversible-hunger-strike-of-pajk-pkk-prisoners-on-day-20
Celox in Rojava angekommen
Eine neue Lieferung der blutstillenden CELOX-Pflaster, die von der
Kampagne zur Unterstützung des internationalen Freiheitsbataillons in
Rojava gesammelt wurde, ist vor Ort angekommen. Ein am Bauch verletzter
Genosse konnte sich gleich davon bedienen.
Die internationalistischen GenossInnen des International Freedom Bataillon bedanken sich wärmstens bei allen SpenderInnen! Die Kampagne geht weiter, die Bedürfnisse sind immens!
Um zu spenden:
IBAN : BE09 0016 1210 6957 – BIC : GEBA BE BB – Mitteilung: « Rojava ».
IBAN : CH82 0900 0000 8555 9939 2 – Mitteilung: « Celox ».
https://www.facebook.com/SoutienBataillonInternational/
Die internationalistischen GenossInnen des International Freedom Bataillon bedanken sich wärmstens bei allen SpenderInnen! Die Kampagne geht weiter, die Bedürfnisse sind immens!
Um zu spenden:
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Deutschland: »Straftaten werden nicht zur Last gelegt«
Staatsschutzverfahren wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in der PKK vor deutschen Gerichten laufen weiter. Gespräch mit Britta Eder
Interview: Martin Dolzer Derzeit findet in Hamburg ein Verfahren nach Paragraph 129 b Strafgesetzbuch, also mit dem Vorwurf der Bildung oder Unterstützung einer »kriminellen und terroristischen Vereinigungen im Ausland«, gegen den kurdischen Politiker Zeki Eroglu statt. Am heutigen Donnerstag ist der vierte Prozesstag. Worum geht es?Unserem Mandanten wird vorgeworfen, dass er führender Kader der PKK sei. Konkrete Straftaten werden ihm nicht zur Last gelegt. Das Justizministerium hat im Oktober 2010 eine »Verfolgungsermächtigung« gegen die PKK gemäß Paragraph 129 gegeben. Durch eine solche Ermächtigung wird die Gewaltenteilung aufgehoben und Außenpolitik mittels Strafrecht gemacht.
Ob Handlungen der PKK-Guerilla, also der HPG-Volksverteidigungskräfte, gegen Angehörige türkischer Sicherheitsorgane gerechtfertigt sind, wurde in bisherigen Verfahren auf der völkerrechtlichen Ebene erörtert.
Mit Beschluss des Bundesgerichtshofs im Mai 2014 hat dieser entschieden, dass für durch die HPG verübten Angriffe auf militärische, paramilitärische oder polizeiliche Einrichtungen kein Rechtfertigungsgrund bestehe und ihr Ziel deshalb »Mord und Totschlag« sei. Dabei kommt es auf die Frage an, wer sich auf das Kombattantenprivileg, also das Recht, unmittelbar an Feindseligkeiten teilzunehmen und dabei auch militärische Gegner zu töten, berufen darf. Nach den Genfer Konventionen können dies grundsätzlich die Angehörigen der Streitkräfte einer an einem internationalen bewaffneten Konflikt beteiligten Partei, also in der Regel die Angehörigen staatlicher Armeen.
Hierzu haben Gerichte in den bisherigen Verfahren zum Paragraphen 129 lediglich festgestellt, dass es sich beim türkisch-kurdischen Konflikt um keinen internationalen bewaffneten Konflikt handele.
Als Ergebnis des Herausbildens von Befreiungsbewegungen und antikolonialer Bewegungen, insbesondere auch in Afrika, wurde jedoch 1977 mit dem I. Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen festgelegt, dass das Kombattantenprivileg auch nichtstaatlichen bewaffneten Kräften zukommen soll, wenn Völker gegen Kolonialherrschaft und fremde Besetzung sowie gegen rassistische Regimes in Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung kämpfen. In der Begründung, dass die PKK sich nicht darauf berufen kann, verweist der BGH darauf, das Zusatzprotokoll gelte nicht, weil die Türkei es nicht unterzeichnet habe. Im übrigen handele es sich bei der Türkei weder um ein Apartheid- noch um ein rassistisches Regime, da Kurden zwar diskriminiert, aber nicht grundsätzlich vom politischen Prozess ausgeschlossen seien. Außerdem sei Kurdistan keine Kolonie, sondern ein Ergebnis der Vereinbarung der Siegermächte des Ersten Weltkrieges, insbesondere des Vertrages von Lausanne.
Ist das nicht zynisch und eine Fehleinschätzung der Situation in der Türkei?
Das ist offensichtlich. Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen sind dort seit Jahrzehnten an der Tagesordnung und nehmen in letzter Zeit erneut zu.
Sie fordern vom Gericht nun eine Auseinandersetzung mit dem Recht auf Widerstand.
Das Recht auf Widerstand ist, auch als Erfahrung aus dem »Dritten Reich«, sowohl in Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes als auch in zahlreichen Landesverfassungen definiert. Es ist vom Gesetzgeber gewollt. Das zeigt sich auch daran, dass der Paragraph 129 b des Strafgesetzbuches bereits bei der politischen Entscheidung, die dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltet ist, dem Justizministerium ermöglicht, die Ermächtigung zur Strafverfolgung nicht zu erteilen. Nämlich dann, wenn die Organisation sich im Ausland gegen Verhältnisse zur Wehr setzt, die im Widerspruch zum inländischen Leitbild einer freiheitlich-demokratisch verfassten Staatsordnung stehen. Diesem Selbstverständnis folgend und in Anbetracht der Geschichte und der aktuellen Situation der Türkei muss das Gericht auch auf juristischer Ebene das Recht auf Widerstand als Rechtfertigungsgrund berücksichtigen und das Verfahren einstellen.
Ihr Mandant hat am zweiten Prozesstag zu dieser aktuellen Situation eine Erklärung abgegeben.
Er verdeutlichte die Geschichte der Assimilations- und Vernichtungspolitik des türkischen Staates gegenüber den Kurden anhand der Geschichte seiner Heimatstadt Dersim. Und er erklärte seinen Stolz, Teil eines Volkes zu sein, das sich seit Jahrzehnten gegen diese Unterdrückung zur Wehr und für einen demokratischen Prozess einsetzt.
https://www.jungewelt.de/m/artikel/306355.straftaten-werden-nicht-zur-last-gelegt.html
Soziale Frage hinter Gittern
Die 2014 gegründete Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation kämpft für Mindestlohn, Sozialversicherung und Koalitionsfreiheit für Inhaftierte
Von Oliver Rast Die Gründung erfolgte per Handschlag zwischen zwei Inhaftierten der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel im Berliner Stadtteil Reinickendorf: von Mehmet-Sadik Aykol und mir. Kurz nach dem Bekanntwerden der Gründung der »Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation« (GG /BO) gab es Zellenrazzien in der Tegeler Anstalt. Der Beißreflex der Vollzugsbehörde war einkalkuliert – und von da ab waren wir in der Haftanstalt und über die Knastmauern hinweg ein Thema. Bis zum heutigen Tag. Seit beinahe drei Jahren. Nicht schlecht für eine kleine soziale Bewegung, die unterhalb des Nullpunktes beginnen musste.Die im Mai 2014 gegründete GG/BO ist angetreten, Schritt für Schritt die volle Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern im solidarischen Verbund mit anderen (Basis-)Gewerkschaften durchzusetzen. Zu diesen Schritten gehört auch, die Einbeziehung der Inhaftierten in die komplette Sozialversicherungspflicht und in den Geltungsbereich des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns zu erwirken.
Profitable Knastindustrie
Gefängnisse sind in den letzten Jahrzehnten auch in der Bundesrepublik zunehmend zu Produktionsstätten und Fabrikanlagen geworden. Von Tütenkleben und Kugelschreiber-Zusammendrehen kann keine Rede mehr sein. Knäste sind Sonderwirtschaftszonen, in denen sozial- und arbeitsrechtliche Standards nicht oder nur in Ansätzen existieren. Die Produktion in den Haftanstalten wird nach Verlautbarungen verschiedener JVA-Verwaltungen in den Bundesländern betriebswirtschaftlich organisiert.1 Die Fertigungsstätten auf den Arealen der Justizvollzugsanstalten sind insbesondere für Landesbehörden und externe Unternehmen profitabel. Hierbei erfüllen die Knastbetriebe in erster Linie die Funktion einer verlängerten Werkbank für das ortsnahe Gewerbe und die regionale Industrie, die die sozialabgabenfreien Billiglohninseln als bevorzugten Standort betrachten.2 Inhaftierte stehen auf Abruf bereit, um bei ausgelasteten Kapazitäten der Unternehmen einzuspringen. Der in zwölf von 16 Bundesländern geltende Arbeitszwang nach den Bestimmungen des 1977 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) führt dazu, dass die Inhaftierten zu einer jederzeit verfügbaren »industriellen Reservearmee« degradiert werden.Der Trend zur Ökonomisierung des Knastes wird durch die Teilprivatisierung vor allem neu errichteter Gefängnisanlagen, wie in Rostock-Waldeck (Mecklenburg-Vorpommern), Burg (Sachsen-Anhalt) oder Bremervörde (Niedersachsen) verstärkt. Dies sind die Vorboten eines Systems, welches in den USA seit Jahrzehnten unter dem Stichwort des »gefängnisindustriellen Komplexes« bekannt ist. Dieses System ist vor allem für die privaten Betreiber lukrativ, denn der Staatshaushalt wird dadurch nicht entlastet, wie eine Studie des Rechercheteams »Correktiv« belegt. Tatsächlich steigen die Kosten.3
Bereits im Jahre 2007 verwies das Handelsblatt darauf, dass sich die Haftanstalten »zu umsatzstarken Wirtschaftsunternehmen« entwickelt hätten – »dank billiger Gefangenenarbeit« (Handelsblatt, 13.4.2007). Aus der Arbeitskraft der Inhaftierten wurden allein im Jahr 2013 in den Werkshallen der Knäste bundesweit etwa 150 Millionen Euro herausgeholt (Süddeutsche Zeitung, 28.1.2015). Die »Dunkelziffer« dürfte indes wesentlich höher liegen. Denn bei diesem Zahlenwerk handelt es sich lediglich um die offiziellen Angaben. Unberücksichtigt bleibt der eigentliche »Marktwert« der verrichteten Arbeiten für die Landesbehörden, da diese haushaltsintern zwischen einzelnen Ressorts verrechnet und nicht zu »marktüblichen Preisen« geordert werden. Außerdem unberücksichtigt bleiben die sogenannten reproduktiven Tätigkeiten der Inhaftierten (Anstaltsküche, Wäscherei, Hausarbeiten etc.), durch die der Betrieb des Gefängnisses gesichert wird. Es ist makaber, aber durch den Arbeitseinsatz der Häftlinge wird das perfide System des Wegschließens und Einsperrens von Menschen nicht nur aufrechterhalten, sondern subventioniert, da diese »Dienstleistungen« gleichfalls nicht auf dem »freien Markt« nachgefragt werden.
Ein zentraler Schwerpunkt in der Wertschöpfungskette der JVA sind die sogenannten Unternehmerbetriebe. In diesen wird für externe Firmen oftmals im Akkord zertifiziert produziert. Der Staat tritt hier mittels der JVA-Leitungen als Verleiher der Arbeitskraft Inhaftierter auf. Im Grunde handelt es sich um ein Szenario aus längst vergangenen Zeiten: Der Staat stellt ein kaserniertes und weitgehend rechtloses Arbeitskräftereservoir zur Verfügung, das Konzerne oder deren Subunternehmer knapp oberhalb der Gratismarke »einkaufen«. Gefangenenarbeit wird verramscht.
Sozial- und Lohndumping
Mit dem staatlich geförderten Sozial- und Lohndumping hinter den Gefängnismauern wird offensiv geworben, um den »Wirtschaftsstandort Knast« besonders attraktiv erscheinen zu lassen. Unsere inhaftierten Kolleginnen und Kollegen sind von Mindest- oder gar Tariflöhnen ebenso ausgenommen, wie von der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, vom Kündigungsschutz oder der Rentenversicherungspflicht. Insbesondere die Nichteinzahlung in die Rentenkasse führt nach einer mehrjährigen Haftzeit geradewegs in die Altersarmut. Der sogenannte Resozialisierungsgedanke, der im StVollzG niedergelegt ist, wird so völlig pervertiert.Die prekäre Arbeitssituation in den Betriebsanlagen der Haftanstalten und die systematische Entwertung der Arbeitsleistung Inhaftierter bilden demnach die Voraussetzungen, um auf dem Rücken der gefangenen Arbeiterinnen und Arbeiter für die Auftraggeber eine »Verringerung des Ressourceneinsatzes« zu ermöglichen und »Kosteneinsparpotentiale« zu nutzen. So die Formulierungen in offiziellen Verlautbarungen.4
Von den ca. 63.000 Inhaftierten der Bundesrepublik befinden sich ca. 42.000 in Beschäftigungsverhältnissen. Wiederholt wird die Behauptung aufgestellt, die zur Arbeit verpflichteten Gefangenen würden keiner »richtigen Arbeit« nachgehen. Ihnen fehle der »Arbeitnehmerstatus«, sie würden lediglich quasitherapeutische Hilfsarbeiten ausführen und an einer Art beruflicher Wiedereingliederungsmaßnahme im Rahmen des »Resozialisierungskonzepts« teilnehmen. Richtig ist, dass Gefangene aufgrund der Zuweisung von Beschäftigung kein »normales« Arbeitsverhältnis eingehen (können). Die Aberkennung des »Arbeiternehmerstatus« ist der administrative Trick, um Zehntausende inhaftierte Beschäftigte fortgesetzt zu entrechten und deren Arbeitsleistung zu entwerten. Aber auch inhaftierte Menschen haben, da sie keine Produktionsmittel besitzen, nichts anderes einzubringen, als ihre menschliche Arbeitskraft, die sie als Ware zum Verkauf anbieten. Das ist ein wesentliches Kennzeichen eines wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses. Die Arbeitsverhältnisse in den Knastbetrieben erinnern aufgrund des im StVollzG verankerten Arbeitszwangs eher an vorkapitalistische Gesellschaftsformen als an einen modernen Sozial- und Rechtsstaat des 21. Jahrhunderts.
Justizvertreter operieren mit dem »Argument«, dass die Knastarbeit ein pures »Zuschussgeschäft« sei. Auch das führt in die Irre. In den JVA-Betrieben wird von den gefangenen Arbeiterinnen und Arbeitern Mehrwert produziert. Es ist absurd, hinsichtlich des »Kostenfaktors Knast« eine Eins-zu-eins-Umrechnung anzustellen. Hoheitliche Aufgaben werden insgesamt anteilig von den Staatsbürgern über das Steueraufkommen finanziert. Zudem existiert kein Passus in einem Gesetzeswerk, wonach Gefangene für ihre Inhaftierung finanziell selbst aufzukommen hätten.
Eine Sozialversicherung für gefangene Beschäftigte wurde ausdrücklich in das StVollzG aufgenommen. Bis auf die Einzahlung in die Arbeitslosenversicherung, auch wenn der Anrechnungszeitraum zuungunsten der arbeitenden Gefangenen bemessen wird (z. B. fallen arbeitsfreie Sonn- und Feiertag nicht in den Berechnungszeitraum), erfolgte diesbezüglich jedoch nichts. Die Einbeziehung von Gefangenen in die Sozialversicherung wurde unter den Vorbehalt eines zu verabschiedenden Bundesgesetzes gestellt. Aber seit fast 40 Jahren kommt keine parlamentarische Mehrheit im Deutschen Bundestag zustande, um diese sozialen Mindeststandards auch für Häftlinge per Gesetz zu beschließen.
Gefängnis als Ort des Kampfes
Der Knast ist fürwahr bislang kein Ort des sozialpolitischen Engagements gewesen. Der Verwahrvollzug ist sprichwörtlich zu verstehen. Fügung, nicht Regung war und ist die Devise. Mit der GG/BO haben sich Gefangene eine selbst organisierte Plattform geschaffen. Als »soziale Randgruppe« verfügen sie nun über eine eigene Lobby, über die sie sich in gesellschaftliche Debatten einbringen sowie Forderungen formulieren und durchsetzen können. Gefängnisse sind seitens der Gefangenen keine gewerkschaftsfreie Zone mehr!Wir nehmen als gefangene Arbeiterinnen und Arbeiter unser Recht der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit nach Artikel 9, Absatz 3 des Grundgesetzes in Anspruch und unsere Interessen in die eigenen Hände. Wir nehmen das Sozialstaatsprinzip ernst und fordern in diesem Zusammenhang eine Gleichbehandlung von inhaftierten und nicht inhaftierten Menschen. Denn es ist völlig inakzeptabel, dass der Freiheitsentzug für die Gefangenen durch eine sozial- und arbeitsrechtlichen Diskriminierung zusätzlich verschärft wird. Eine solche Doppel- und Dreifachbestrafung ist schlicht und ergreifend rechtswidrig.
Der Kampf um die Arbeitsbedingungen im Allgemeinen und die Lohnhöhe sowie die Ausgestaltung der Arbeitszeit im Besonderen waren stets Konfliktpunkte zwischen jenen, die die Arbeitskraft abschöpfen und jenen, die sie anbieten. Das ist im Knast nicht anders, zumal die prekäre Arbeits- und Lebenssituation nicht nur Gesprächsstoff liefert, sondern auch eine Menge an Zündstoff bereit hält. Einer unserer zentralen Ansätze ist es, keine Konkurrenz zwischen einzelnen Beschäftigtengruppen aufkommen zu lassen, sondern als Einheit unabhängig von ethnischer Herkunft oder beruflichem Hintergrund aufzutreten. Wir erheben als GG/BO aber nicht nur für arbeitende Gefangene und gefangene Auszubildende unsere Stimme, damit bei letzteren z. B. eine Angleichung der Ausbildungsvergütung erfolgt wie bei nicht inhaftierten Menschen in einem Ausbildungsverhältnis. Wir fordern gleichfalls eine deutliche Erhöhung des sogenannten Sozialgeldes für die Gefangenen, die sich aufgrund einer chronischen Erkrankung oder Arbeitsunfähigkeit in keinem Beschäftigungsverhältnis befinden. Des weiteren unterstützen wir jene Inhaftierten, die sich bewusst gegen den staatlichen Arbeitszwang hinter Gittern positionieren und diese Form der unfreiwilligen Tätigkeit teilweise oder ausnahmslos verweigern.
Die Liste der Aktivitäten in der kurzen Geschichte der GG/BO ist bereits jetzt lang. Die folgende Aufzählung ist unvollständig, vermittelt aber einen Eindruck von dem, was die Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation praktisch ausmacht.
Die GG/BO ist wahrlich kein »Männerverein«. In der größten Haftanstalt für Frauen in Nordrhein-Westfalen, in Willich bei Köln, bildete sich die erste Frauensektion. In einem längeren Artikel in der tageszeitung (29.11.2015) berichteten die beiden Sprecherinnen Anja und Stephanie Meyer über ihre Tätigkeit hinter Gittern. Zwischenzeitlich waren mehr als 40 Frauen, etwa ein Fünftel der Insassinnen, in der Gewerkschaft organisiert. Aktuell finden sich inhaftierte Frauen in der JVA Chemnitz im Rahmen der GG/BO zusammen.
Von der Kita bis zum Ministerium
Mit einer »Aktivierenden Untersuchung« war es uns 2015 gelungen, genaueres über die verschiedenen Knastbetriebe zu erfahren. Mit einem Fragenkatalog baten wir Inhaftierte um Auskunft, welche externen Unternehmen und Landesbehörden in welchen JVA-Betrieben welche Produkte unter welchen Konditionen herstellen lassen. Die Ergebnisse haben wir beispielhaft für das Bundesland Niedersachsen zusammengetragen. Ein wesentlicher Lieferant von Informationen war unser GG/BO-Sprecher in der JVA Sehnde, Kai Rollenhagen. Erstes Ergebnis: Faktisch alle Landesbehörden von der Kindertagesstätte bis zu Ministerien lassen in den JVA-Betrieben produzieren. Zweites Ergebnis: Namhafte Unternehmen aus der Automobilbranche und der Elektroindustrie nutzen die Arbeitskraft Inhaftierter sozialabgabenfrei. Zum Beispiel lässt einer der weltweit größten Windkraftanlagenbauer, Enercon, über Subunternehmen in westniedersächsischen Haftanstalten elektronische Bauteile fertigen.In der mittelhessischen JVA Butzbach sorgte Ende 2015 ein Hunger- und Bummelstreik für regionales Aufsehen. Jürgen Rössner organisierte unermüdlich die Streikfront hinter Gittern. Ein Dokument aus der JVA-Schlosserei lieferte den Zündstoff. Der darin enthaltenen offiziellen Statistik war zu entnehmen, dass der Lohnanteil der arbeitenden Gefangenen am jährlichen Reingewinn von drei Millionen Euro bei unter 0,4 Prozent lag. In Berlin und Frankfurt a. M. bildete sich ein »Netzwerk für die Rechte inhaftierter Arbeiterinnen und Arbeiter«, das Kontakte vor allem auch in den akademischen Bereich herstellen konnte. Auch wenn unter dem Strich die Forderungen nicht durchgesetzt werden konnten, so zeigte dieser öffentlich ausgetragene Konflikt doch, dass eine gewerkschaftspolitische Mobilisierung vor und hinter den Gefängnismauern möglich ist.
Ein weiteres Beispiel für die erfolgreiche Tätigkeit der GG/BO ist die Aufdeckung der mutmaßlichen »Klau- und Schmuggelwirtschaft« seitens Bediensteter in der JVA Tegel in Berlin, die Mitte September 2016 ein bundesweites Medienecho fand. Ein Netzwerk von 20 bis 30 Beamten und Angestellten der JVA ließ nach Angaben der beiden Whistleblower Timo F. und Benjamin L. Dienstleistungen und Waren von unter Billiglohnbedingungen arbeitenden Gefangenen für den Eigenbedarf oder Weiterverkauf aus den JVA-Betrieben herausschaffen. Besonders beliebt: Mobiliar aus der JVA-eigenen Tischlerei und Schreinerei sowie Materialien aus der Knastschlosserei wie etwa Edelstahlgrills.5 Diese »Tegel-Connection« kam mit Unterstützung der GG/BO an die Öffentlichkeit. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt mittlerweile gegen zwei Beamte.
Aber auch lokale Auseinandersetzungen um die Durchsetzung einer schikanefreien Gewerkschaftstätigkeit von unseren inhaftierten Mitgliedern waren immer wieder Thema. So in der JVA Untermaßfeld südwestlich von Erfurt im von Bodo Ramelow (Die Linke) regierten Thüringen. Postzensur und Zellenrazzien gegen engagierte Gewerkschafter hinter Gittern wie den örtlichen GG/BO-Sprecher David Hahn waren und sind im »Musterland« von »Rot-Rot-Grün« leider keine Ausnahme. Aber auch gegen die Verweigerung von nährstoffhaltigen Nahrungsmitteln oder erforderliche Sonderkost richtet sich der Widerspruch der GG/BO in den Thüringer Knästen.
Bereits vor etwas mehr als einem Jahr begab sich die Organisation auf einen »Expansionskurs«: »GG/BO goes Austria« lautete das Motto. Nach dem ersten Anstoß wurde es für einige Monate recht ruhig um den österreichischen Ableger der GG/BO, bis sich ein Kreis von Gefangenen in der Justizanstalt Graz-Karlau in der Steiermark gefunden hatte, der die Initiative ergriff. Georg Huß, Oliver Riepan und andere organisierten die erste Kampagne für Gewerkschaftsrechte in den Justizanstalten Österreichs. In Wien hat sich zwischenzeitlich ein personell erweiterter Solikreis für die österreichische GG/BO gebildet, der über seinen Blog die gewerkschaftspolitischen und menschenrechtlichen Aktivitäten dokumentiert.6
Die Geschichte von sozialen Bewegungen, die um Solidarität, Autonomie, Emanzipation und (tiefgreifende) Sozialreformen gerungen haben, ist gleichzeitig eine von staatlicher Verfolgung und behördlicher Kriminalisierung. Die Gewerkschaftsbewegungen waren hiervon »an vorderster Front« betroffen. Eine von ihnen geforderte Gesellschaftsveränderung löste bei den Machthabern nicht nur Argwohn aus, sondern zog eine verdeckte oder offene Bekämpfung von (Basis-)Gewerkschaftern nach sich.
Die GG/BO befindet sich in einer organisatorischen Schieflage. Drinnen Hunderte Mitglieder, und noch weit mehr Sympathisanten. Draußen ein, zwei, drei Handvoll Aktvistinnen und Aktivisten, die die Arbeit koordinieren. Die GG/BO hat sich in Teilen bereits regionalisiert, zum Teil lokalisiert. Dieser Prozess muss fortgesetzt werden. Denn es hat sich gezeigt, umso näher Soligruppen an den Haftanstalten sind, umso intensiver und kontinuierlicher fallen die Kampagnen hinter Gittern aus.
Es ist unerheblich, ob prekäre Arbeitsverhältnisse vor oder hinter den Knasttoren existieren – sie gehören generell abgeschafft. Gewerkschaftliche Solidarität ist an diesem wie an anderen Punkten unteilbar!
Rechtliche Anerkennung
Deshalb setzen wir auf einen intensiven Austausch von inhaftierten und nicht inhaftierten Kolleginnen und Kollegen aus den Einzelgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) sowie den Basisgewerkschaften der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) und den Industrial Workers of the World (IWW). Wir wissen, dass unser Erfolg wesentlich davon abhängt, ob die legitimen Kernforderungen der GG/BO Eingang in das breite Gewerkschaftsspektrum finden werden. Nur so lässt sich der erforderliche soziale Druck aufbauen, um letztlich mehrheitsfähig werden zu können.Wenn wir über die Sozialversicherungspflicht und den Mindestlohn eine tendenzielle Angleichung der Arbeitsverhältnisse drinnen und draußen erzielen wollen, so ist das nur ein Schritt auf dem Weg zur vollen Gewerkschaftsfreiheit hinter Schloß und Riegel. Wir orientieren darauf, sowohl die Versammlungsfreiheit für GG/BO-Mitglieder im Knast als auch die Tariffähigkeit der GG/BO durchzusetzen. Damit ist unsere Forderung verbunden, dass auch für Gefangene das Betriebsverfassungsgesetz gilt, da sich die GG/BO nicht in den Rahmen der sogenannten Gefangenenmitverantwortung nach Paragraph 160 StVollzG pressen lässt. Damit dokumentieren wir nicht nur einen emanzipatorischen Akt, in der Unfreiheit des Knasts Freiheit zu reklamieren. Wir erlangen hierüber einen Gestaltungsraum und eine Beweglichkeit, die im Falle potentieller Arbeitskampfmaßnahmen von gefangenen Arbeiterinnen und Arbeiter nur von Vorteil sein werden. Die im Grundgesetz verankerte Koalitionsfreiheit steht uns zu, ohne jede substantielle Einschränkung!
Zwei Momente kennzeichnen eine gewerkschaftspolitische und -rechtliche Aktivität von Gefangenen im Knastalltag, die Verbindungslinien zur weiten Arbeitswelt vor den Toren der Haftanstalten schaffen können: Zum einen finden Methoden des »Union Busting« gegenüber der GG/BO und ihren Aktivistinnen und Aktivisten eine breite Anwendung. Damit ist nicht nur eine massive Behinderung der Gewerkschaftsarbeit gemeint, sondern der Versuch der JVA-Leitungen, eine weitere Ausdehnung der GG/BO mit Hilfe einer Vielzahl von Schikanen zu verhindern. Im Extremfall kann das bis zum gezielten Zerschlagungsversuch der gewerkschaftlichen Selbsthilfe reichen. Zum anderen haben wir es bei der Billigarbeit in den Knästen mit einem besonders eklatanten Fall im Niedriglohnsektor zu tun. In beiden Fällen ergeben sich jeweils Handlungsspielräume und Schnittstellen einer gegenseitigen Solidarisierung von beschäftigten und nicht beschäftigten Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern vor und hinter den Knastmauern. Und genau dieses Band der Solidarität wollen wir Knoten für Knoten enger knüpfen.
Anmerkungen:
1 www.jva-shop-business.de/frontpage-style1/die-arbeitsbetriebe-der-niedersaechsischen-justiz-partner-der-wirtschaft.html
2 Siehe beispielsweise: www.vaw.de/unternehmen/niederlassungen/ravensburg.html
3 Jonas Mueller-Töwe: Geheime Verträge, versteckte Kosten. Warum private Dienstleister Deutschlands Gefängnisse nicht billiger, sondern teurer machen, https://kurzlink.de/E66DvEJQw
4 www.jva-shop-business.de/frontpage-style1/die-arbeitsbetriebe-der-niedersaechsischen-justiz-partner-der-wirtschaft.html
5 www.stern.de/wirtschaft/news/jva-tegel–die-unfassbaren-schmuggeleien-im-maennerknast-7109860.html
6 http://ggraus.blogsport.at
https://www.jungewelt.de/2017/02-27/057.php