Bericht vom Internationalen Symposium gegen Isolation und Folter in Istanbul
29 Mai 2014
Am 26. und 27. April fand in Istanbul das Internationale Symposium gegen Isolation und Folter statt. An dem Symposium nahmen Verteidiger/-innen und Anwälte/-innen teil, ebenso ein Vertreter der Roten Hilfe e.V. Zwei Tage lang diskutierten die Teilnehmer/-innen über Isolationshaft, F-Typ-Gefängnisse und Folter.
Organisiert wurde das erfolgreiche Symposium in der Türkei von den Organisationen Partizan, Sozialistische Partei der Unterdrückten (ESP) sowie der Föderation der Demokratischen Rechte (DHF) und in Europa von der Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATİK), der Föderation der Migranten-ArbeiterInnen in Europa (AvEG-Kon) und der Föderation Demokratischer Rechte – Europa (ADHK).
„Wenn einer von uns erschossen wird, dann werden wir alle erschossen”
Am ersten Tag sagte der ehemalige Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD und ehemalige Abgeordnete Akin Birdal, dass der Staat das Recht zu Leben noch lange nicht respektiert, nur weil die Türkei die Todesstrafe abgeschafft hat. In den Gefängnissen werde das Recht auf Leben vehement verletzt und die Konditionen der Gefangenen seien so unmenschlich, dass im vergangenen Jahr 30 Menschen gestorben sind. Birdal würdigte den in Rojava gefallenen Serkan Tosun und sagte zum Schluss: „Solange Menschen zu sterben wissen, kann man ihnen ihre Freiheit nicht rauben.”
Danach war Italien an der Reihe. Fululo Erboito, der Vertreter von Proletarian Red Relief, sprach über die gegenwärtige Lage in Italien, die Roten Brigaden und die Delay-Bewegung und darüber, dass viele Jugendliche sich gegen das Schnellzug-Projekt der Regierung wehren. Auch in Italien gebe es ein „Antiterror-Gesetz”. Es werde gegen alle benutzt, die sich dem wirtschaftlich-politischen System in die Quere stellen. Erboito meinte: „Wenn einer von uns erschossen wird, dann werden wir alle erschossen.” Er unterstrich die Wichtigkeit der internationalen Solidarität und sagte, dass man die Menschen mit konkreten Forderungen der Grundrechtsverteidigung mobilisieren müsse und dass der Kampf in den Gefängnissen ein Teil des ganzen Kampfes sei.
Baki Selcuk grüßte alle politischen Gefangenen weltweit. Er sprach im Namen der Organisationen ATİK, ADHK, AvEG-Kon darüber, dass es in Peru, den Philippinen und Indien hunderttausende politische Gefangene gibt, die Teil des nationalen und politischen Kampfes sind. Er unterstrich auch die Bedeutung der revolutionären Presse, den Kampf der Frau und die Tatsache, dass in vielen Ländern Kinder im Gefängnis sind. Er erinnerte auch daran, dass bei der Todesstrafe die USA und China ganz vorne liegen.
Danach war der ehemalige politische Gefangene Hasan Gülbahar dran, er war 30 Jahre im Gefängnis und wurde wegen Mitgliedschaft in der TKP/ML(1) verurteilt. Er sprach darüber, dass er in verschiedenen Arten von Gefängnissen war: E-Typ, T-Typ und dann auch F-Typ. „Das Isolationssystem bezweckt es, die Menschen von sich selbst zu entfremden und die Gefängnisleitung versucht alles, um sie unter Kontrolle zu halten.”
Danach sprach der Anwalt Sinan Can vom Anwaltsbüro Acilim über die allgemeine Lage der Gefangenen, aber vor allem die der kranken Gefangenen. Im Moment gebe es gut 200 kranke Gefangene in der Türkei, denen jegliche Vorsorge oder Untersuchung verweigert werde.
„Wo es Unterdrückung gibt, gibt es auch Widerstand”
Im zweiten Teil gab ein Vertreter von Cebraspo(2) eine Präsentation über die Lage in Brasilien. Demnach gibt es in dem südamerikanischen Land rund 560 politische Gefangene. Bauern und Jugendliche, die für ihre Rechte einstehen und für das Recht auf Land kämpfen, werden inhaftiert. Vor allem während der Protestaktionen der letzten Zeit gab es viele Verhaftungen. „Der Staat schickt die Armee in die Armenviertel und versucht, das Volk unter seine Gewalt zu bringen”, sagte der Cebraspo-Vertreter. Er berichtete auch vom Hinrichtungsregime und dem so genannten Veränderungsdisziplinar-System. Dieses System verhindert den sozialen und kulturellen Kontakt der Gefangenen und isoliert sie. Außerdem wurden von Beispielen aus anderen lateinamerikanischen Ländern berichtet, so aus Chile und Peru. Zu den Isolationsbedingungen des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Perus, Gonzalo, sagte der Cebraspo-Vertreter: „Wir wissen, wo es Unterdrückung gibt, gibt es auch Widerstand. Wo es proletarische Ideologie gibt, gibt es auch organisierten Widerstand.”
Im Anschluss erhielt der ehemalige Gefangene und Mitglied der „Intentionalen Volksanwalts-Vereinigung” Muhammed Hochi das Wort. In seiner Rede sprach er davon, dass man nur davon träumen könne, so eine Symposium im Iran durchzuführen: „Im Iran existieren wir noch nicht einmal auf dem Papier. Im Iran gibt es noch nicht einmal die Definition ,Politischer Gefangener’. Sie war eine unser Forderungen im Gefängnis.” Weiter sprach er davon, dass während der Jahre 1981 und 82 im Iran gegen mehr als 60.000 Menschen Urteile vollstreckt und bis 1988 schätzungsweise zwölf- bis 18.000 politische Gefangene ohne jegliche Registrierung ermordet wurden.
Den nächsten Beitrag hielt der Vertreter der Roten Hilfe e.V. In seiner Rede betonte er, dass in der Roten Hilfe e.V. ohne Unterschiede nach Organisationen Solidarität und Unterstützung gewährt wird. Er erinnerte daran, dass nach den Angriffen vom 11. September 2001 in vielen Ländern neue Terrorgesetze verabschiedet oder die vorhandenen Gesetze verschärft wurden. Von den neuen Antiterror-Gesetzen in Deutschland und den damit verbunden Angriffen seien vor allem die revolutionären MigrantInnen-Organisationen betroffen. Die vorhandenen Verbote von (revolutionären) Organisationen müssten aufgehoben werden und die Überwachung, die sich auf den Antiterror-Paragraphen 129a StGB stützt, eingestellt werden.
Eine weitere Referentin war die von den KCK-Prozessen(3) betroffene Lehrerin Ayşe Berktay. In ihrem Vortrag berichtete sie vor allem von den Erfahrungen aus ihrer Haft im Frauengefängnis Bakirköy. „Im Gefängnis ist alles verboten: Pflanzen sind verboten, Handelsbücher verboten, Geräusche, Worte, das Leben ist verboten.” Weiter sagte sie: „Die Wände können die Freiheit nicht definieren, aber die Gesundheit können sie prägen.” Sie berichtete, dass das Gefängnis in Bakirköy nur für 600 Frauen ausgelegt sei, dort aber mehr als 1300 Frauen inhaftiert seien.
Im Anschluss sprach Münevver Iltemur für alle Unterstützerorganisationen aus der Türkei. Sie betonte vor allem, dass das Ansteigen des Widerstands in den Gefängnissen in der Türkei zeitgleich mit einer Klassenentwicklung stattfinde. Weiter führte er aus, dass der Staat wegen des praktischen Widerstands der Gefangenen nur schwer Identitätsfeststellungen durchführen könnte. Der erst vor kurzem aus dem Gefängnis entlassene TUAD-Vorsitzende(5) erörterte, dass die Gefangenen im Campus-Typ- Gefängnis extrem ausgebeutet werden und dass deshalb nicht nur die politischen Gefangenen in den Widerstand eingebunden sind, sondern alle sich dort befindlichen Justizgefangenen.
Die Gefangenenfrage kann nur international gelöst werden
Am zweiten Tag des Symposiums war das Hauptthema vor allem die Lage der Frauen, Kinder und LGBT-Gefangenen. Der Anwalt Hasan Erdogan erinnerte in seinem Beitrag an die Fälle sexuellen Missbrauchs im Kindergefängnis von Pozanti im Jahr 2011. Damals verlegte das Justizministerium die Kinder in verschiedene F-Typ-Gefängnisse mit der Begründung: „Wenn die Kinder in einem sichereren Gefängnis gewesen wären, wäre dieser Vorfall nie passiert.” Derzeit gebe es in der Türkei drei Gefängnisse für Kinder. Allerdings seien alle überfüllt, weshalb das Justizministerium vor kurzem die „gute Nachricht” bekannt gab, dass 15 neue Gefängnisse für Kinder geplant sind.
Im Anschluss erhielt Nevin Berktas das Wort. Er wurde vom türkischen Staat mehrfach als Mitglied der Organisation TIKB (Bolsevik)(5) verurteilt und war insgesamt 22 Jahre als politischer Gefangener inhaftiert. In seinem Vortrag sprach er vor allem über die Rechtsverletzungen und Folterungen. Am Beispiel von Suzan Zengin(6) machte er deutlich, wie die Gefängnisverwaltung systematisch versucht, medizinische Behandlung zu verhindern oder komplett zu verweigern. So werden schwer kranke Gefangene in den Gefängnissen einfach dem Sterben überlassen.
Die Vorsitzende der ESP-Sektion Istanbul sprach in Ihrem Vortrag vor allem über die Problem der Frauen in den Gefängnissen. In den Gefängnissen laufe alles militärisch, es werde erwartet, dass alles widerspruchslos läuft. In dieser Gesellschaft werde von den Frauen am meisten Gehorsam erwartet. „Sobald eine Frau Widerstand leistet, fallen sie aus allen Wolken!”
Über die Problematik der in den Gefängnissen lebenden Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen (LGBTI) hielt das Mitglied des Istanbuler LGBTI-Solidaritätsvereins Kivilcim Arat einen Vortrag. „Das Gefangenendasein beginnt mit der Aufnahme von Namen, Nachnamen und so weiter. Es gibt einen Haufen Nummern. Die erste Krise erleben Transsexuelle an dieser Stelle. Vor allem während der Leibesvisitation. Soll sie als Frau durchsucht werden, oder laut ihrem Personalausweis, in dem sie immer noch als Mann gilt, als Mann? In den meisten Fällen wird anhand des Personalausweises die Untersuchung von einem Mann durchgeführt.” Weiter führte er aus, dass die Einnahme von Hormonen, die für Transsexuelle notwendig ist, von der Gefängnisleitung verweigert wird und dass Transsexuelle vor allem unter sexuellen Belästigungen durch die Wärter zu leiden haben.
Der Anwalt der Istanbuler Anwaltskammer und Mitglied des Gefängniskomitees Begüm Yildiz sprach vor allem Themen wie die internationalen Vollstreckungssysteme und das Rechtswesen an. Von den anwesenden Anwälten aus dem Ausland bekam als erstes der Australier Gill H. Boehringer das Wort. Er betonte die steigende Privatisierung der australischen Gefängnisse und dass die australische Regierung ständig versuche, unter Anwendung von neoliberaler Politik und Globalisierung diese Situation zu verschlechtern. Die Politik gegen die Aborigines habe einen genozidalen Charakter, sie besäßen keine Rechte und würden allein aufgrund der Tatsache, dass sie Aborigines sind, ausgebeutet.
„In den Gefängnissen ist der Widerstand einer der wichtigsten Bezugspunkte”
Der aus dem Iran stammende Anwalt Muhammed Hochi ging in seinem Vortrag auf das Rechtswesen im Iran ein. „Im Iran ist das Rechtswesen sehr durcheinander”, sagte er. „Auf der einen Seite gibt ein Zivilrechtswesen, auf der anderen Seite gibt es die Scharia. Die politischen Fälle werden vom ,Revolutionären Islamischen Gerichtshof’ bearbeitet. Diese beziehen sich vor allem auf das Rechtswesen der Scharia.” Weiter erklärte er, dass jegliche Art von Widerstand als Gotteslästerung gewertet werde und es daher im Iran überhaupt keine Rechte für politische Gefangene gebe.
Der Anwalt Hans Lagenberg stellte in seinen Vortrag das Justizwesen in den Niederlanden vor. Er betonte, dass es dort drei Gefängnistypen gibt, offen, halboffen und geschlossen. Die Art des Strafvollzuges werde an der Schwere des Vergehens festgemacht. Desweitern erwähnte er, dass es in den Niederlanden auch ein Hochsicherheitsgefängnis mit insgesamt acht Insassen gibt, unter ihnen befindet sich auch Muhammed Bee.
Die Vertreterin des „Anwaltsbüro der Unterdrückten”, Özlem Gümüştaş, hob die Bedeutung des Widerstands in den Gefängnissen hervor. „In den Gefängnissen ist der Widerstand und das revolutionäre Leben einer der wichtigsten Bezugspunkte. Aus diesem Grund versucht der Staat mit verschieden Formen von Gefängnissen, dieses zu zerstören.”
Der Vertreter von ATİK, Süleyman Gürcan, ging auf internationale Zusammenhänge ein und betonte, dass die Frage des Gefangenenwiderstands international diskutiert werden müsse. Auch die Vertreterin von Partizan betonte, dass die Frage der politischen Gefangene nicht eine nationale Frage sei, sondern eine internationale. Deshalb sei es wichtig, eine internationale Organisation zu gründen und dadurch die Frage der politischen Gefangenen zu aktualisieren.
Als letztes sprach die Vertreterin der ÖTSP(7) Münevver Iltemur, sie betonte die Notwendigkeit gemeinsamer Aktionen für die Freiheit der politischen Gefangenen und betonte noch einmal, wie wichtig dieses Symposium für die politischen Gefangenen sei.
Fußnoten: (1) TKP/ML: Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten (2) Cebrasol: Zentrum für die Solidarität mit den Völkern (3) KCK: Union der Gemeinschaften Kurdistans (4) TUAD: Solidaritätsverein der Gefangenen und ihrer Familien (5) TIKB (Bolsevik): Kommunistische Arbeiterpartei der Türkei (Bolschewistisch) (6) Suzan Zengin wurde am 28. August 2009 unter einem Vorwand von der türkischen Polizei festgenommen und eingesperrt. Obwohl die Journalistin unter einer chronischen Herzkrankheit litt, versagte der türkische Staat ihr jegliche medizinische Behandlung. Dadurch verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand so schwer, dass im September 2011 eine Operation am offenen Herzen durchgeführt werden musste. Nach 17 Tagen auf der Intensivstation starb sie am 12. Oktober 2011 an den Folgen der Nichtbehandlung. Sie war engagierte Journalisten und Mitglied der TKP/ML-TIKKO. (7) ÖTSP: Plattform der Stimmen der Unsterblichen und Gefangenen
No comments:
Post a Comment