Text of the
declaration:
Dear comrades!
We would like to ask if it's possible
for you to publish our declaration about the current political situation in
austria following the bourgeois elections on maoist road? Unfortunately it's
only avaliable in german.
revolutionary
greetings
IA/RKP
7.1.17
- Zur Einschätzung der neuen Regierungskonstellation
Seit Dezember 2017 ist eine neue
Regierung aus ÖVP und FPÖ am Ruder. Die FPÖ in der Regierung haben wir nicht zum
ersten Mal. Wir hatten das bereits 1983-1987 als Juniorpartner der SPÖ (unter
den Bundeskanzlern Sinowatz und Vranitzky) und 2000-2007 als Juniorpartner der
ÖVP (unter dem Bundeskanzler Schüssel). Beim ersten Mal, unter der schützenden
Hand der SPÖ, gab es nicht viel Wirbel gegen sie. Beim zweiten Mal, im Jahr
2000, war das anders, damals gab es erhebliche und anhaltende Massenproteste. Im
Dezember 2017 sind rund um die Angelobung solche Massenproteste ausgeblieben.
10.000 Teilnehmer in Wien sind nicht viel verglichen mit den 300.000 am
19.Februar 2000.
Das ist kein Zufall und kein
(massen)psychologisches Phänomen, sondern widerspiegelt die Entwicklung der
Gesellschaft und der Klassenkampfsituation. In den 1980er Jahren war eine Phase
der Linksentwicklung in der Gesellschaft (erhebliche Streikkämpfe,
antikapitalistische Volksbewegungen, Stärkung kommunistischer Organisationen)
gerade zu Ende gegangen. Es begann schon wieder stramm nach rechts zu gehen.
Aber die neuerlichen Tendenzen in Richtung Polizeistaat und Faschisierung des
Staatsapparats nahmen erst an Fahrt auf (die späten 1960er und 1970er Jahre mit
ihrer scharfen polizeilichen und juristischen Repression gegen alles Linke waren
schon wieder vergessen). Die FPÖ gerierte sich damals noch nicht als ultrarechte
Partei wie später unter Haider und Strache. Zwar hatte sie damals dieselbe
Vergangenheit, einen ebenso starken faschistischen Flügel und auch das gleiche
rechtsradikale Potential, aber der Steger war halt nicht der Haider, sondern
trat als „Nationalliberaler“ auf. Rassismus, Chauvinismus und Xenophobie gab es
zwar damals auch schon, aber eher als Nischenerscheinung, ohne große Bedeutung.
Ganz anders im Jahr 2000. Zwar war den Wenigsten aufgefallen, dass drei
aufeinanderfolgende SPÖ-Innenminister (Löschnak, von Einem und Schlögl) seit
mehr als einem Jahrzehnt energisch den Ausbau des Polizeistaates, der
Militarisierung der Polizei, der Verschärfung der „Sicherheitspolitik“ betrieben
hatten – aber jetzt hatte die Haider-FPÖ sich seit „Knittelfeld“ nach rechts hin
radikalisiert. Es gab im Jahr 2000 ein gewisses Gefühl einer „faschistischen
Gefahr“, auch wenn nicht immer durchschaut wurde, worin diese Gefahr eigentlich
bestand. Das erklärt die damaligen Massenproteste.
Heute ist die Lage anders. Seit den
1980er Jahren haben wir in Gesellschaft und Politik eine, noch dazu sich in den
letzten Jahren nochmals beschleunigende Rechtsentwicklung. Wieso das? Die
Bourgeoisie, die weder dumm noch blind ist, stellt sich auf die Verschärfung der
Klassenwidersprüche ein, marschiert nach rechts und mit ihr marschiert die
„öffentliche Meinung“, ihre Medien und alle ihre Parteien. Der Polizeistaat wird
massiv ausgebaut (Repressionsapparat, Überwachung …), das „Profil“ des
Bundesheeres geschärft, auch bzw. insbesondere für den Einsatz im Inneren,
Chauvinismus und Rassismus werden angeheizt, um ArbeiterInnenklasse und Volk zu
spalten. Die ÖVP war zwar immer schon reaktionär, aber noch nie so offen und
extremistisch reaktionär wie heute. Aber auch die SPÖ lässt sich nicht lumpen
und trägt den chauvinistischen Kurs – nach einigem Zögern – mit. In allem
Wesentlichen sind sich alle einig: in ihrem „Neoliberalismus“ (Privatisierung,
„Deregulierung“, Zertrümmerung des Arbeits- und Sozialrechts …), in der
„Sicherheitspolitik“ und – mit Nuancen (aber das auch nur soweit es um offenen
Rassismus geht) – inzwischen auch in der „Ausländerfrage“. Zugleich hat die FPÖ,
die unbedingt wieder Posten und Pfründen will, im Hinblick auf die
bevorstehenden Wahlen „demokratische“ und „europäische“ Kreide gefressen. Das
alles zusammen ergibt eine Gemengelage, die offenbar die Herausbildung einer
Massenbewegung gegen die Kurz-Strache-Reaktion sehr erschwert. Ein Wunder ist
das nicht. Wenn sich ÖVP und SPÖ inzwischen nur mehr in Nuancen von der FPÖ
unterscheiden, wenn frühere Debatten über die „Salonfähigkeit“ (oder
„Ausgrenzung“) des Rechtsradikalismus inzwischen als anachronistisch erscheinen,
wenn was gestern noch faschistisch hieß, heute „nationalkonservativ“ heißt und
was gestern noch rechtsextremistisch hieß, heute „rechtskonservativ“, wenn
rechtsextremes Gedankengut inzwischen als „Mitte-Rechts“ und die gemäßigtere
Variante davon (wozu die Sozialdemokratie zu rechnen ist) sogar als
„Mitte-Links“ gilt – dann trübt das das Wahrnehmungsvermögen und untergräbt,
wenn nicht dagegen gehalten wird, im Lauf der Zeit Protest und Widerstand 1. Zumal diese Entwicklung in
internationalem Gleichklang erfolgt, immerhin sitzen ultrareaktionäre Parteien
in 9 EU-Ländern sowie in Norwegen und in der Schweiz in der Regierung (und
einige davon sind sogar halbfaschistische).
Zugleich verschlechtert sich die
objektive Lage erheblicher Teile von ArbeiterInnenklasse und Volk zusehends.
Reallohnabbau, Prekarität, Zunahme der Arbeitslosigkeit, Aushöhlung bzw. Abbau
des Arbeits- und Sozialrechts (vom Pensionsrecht über die „Flexibilisierung“ der
Arbeitszeit bis zum „effizienten“ Einsatz eines wachsenden Arbeitslosenheeres
usw.). Das alles ist nicht neu. Der im neuen Regierungsprogramm geplante neue
Feldzug ist nur die Fortsetzung des alten Feldzugs. Aber die Massen sind
ideologisch gespalten und politisch (organisatorisch) entwaffnet, daher
ideologisch und politisch bewusst- und wehrlos. Die Bourgeoisie versprüht
derzeit gerade wieder einmal Optimismus, blickt aber innerlich mit Sorge in ihre
Zukunft. Die Konkurrenz verschärft sich, die Profite sind unter Druck, der lange
Jahre andauernde Produktivitätsvorsprung schmilzt, neokoloniale Einflusszonen am
Balkan drohen ihr zu entgleiten und damit die damit verbundenen erheblichen
Extraprofite. Die Widersprüche im Weltmaßstab verschärfen sich, politische
„Instabilität“ nimmt zu, die daraus resultierenden „Kollateralschäden“ (z.B.
Migration, Umweltkatastrophen …) nehmen zu. Die Bourgeoisie muss, will sie nicht
den Anschluss versäumen, Ausbeutung und Ausplünderung drastisch verschärfen,
sowohl dem Grad als auch dem Tempo nach. Sie muss das, sie hat keine Wahl. „Im
Großen und Ganzen hängt dies … nicht vom guten oder bösen Willen des einzelnen
Kapitalisten ab. Die freie Konkurrenz macht die immanenten Gesetze der
kapitalistischen Produktion dem einzelnen Kapitalisten gegenüber als äußerliches
Zwangsgesetz geltend.“ (Marx, „Das Kapital“ I, MEW 23, S.286) Dasselbe gilt für
die Bourgeoisie eines jeden Landes gegenüber ihren ausländischen
Konkurrenten.
Alle Abteilungen und Strömungen der
österreichischen Kapitalistenklasse (und dementsprechend auch alle maßgeblichen
Parteien) sind sich einig bezüglich der Notwendigkeit einer drastischen
„Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“ des österreichischen Kapitals, ergo
einer scharfen Ausbeutungs- und Ausplünderungsoffensive, radikaler als bisher
schon. Die Frage ist nur: wie radikal, in welchem Tempo, mit welchen Methoden?
Die Frage ist nicht Zuckerbrot oder Peitsche, denn es ist klar, dass die
Peitsche schärfer geschwungen werden muss als bisher. Die Frage ist nur: Wie
viel Zuckerbrot braucht die Peitsche, um erfolgreich geschwungen werden zu
können? Es stellt sich die Frage nach der geeignetsten Methode: soll man eher
„sozialpartnerschaftlich“ und schrittweise vorgehen oder eher nach dem Motto
„speed kills“ (das der Herr Khol von der ÖVP vor 17 Jahren anlässlich der
seinerzeitigen ÖVP-FPÖ-Koalition, in die politische Debatte einbrachte)? In
diesem „taktischen“ Punkt, und nur in diesem, keinesfalls im „strategischen“
Inhalt der letztlich für das Kapital notwendigen „Reformen“, unterscheiden sich
die verschiedenen politischen Parteien.
Was die Bourgeoisie jetzt mittels
der ÖVP-FPÖ-Regierung in Angriff nehmen will, unterscheidet sich nicht von dem,
was z.B. die deutsche Bourgeoisie bereits längst mittels der
sozialdemokratisch-grünen Regierung (Schröder-Fischer) durchgesetzt hat. Es
kommt nur mit Verspätung, denn bisher bestand für die österreichische
Bourgeoisie wegen ihres Produktivitätsvorsprungs, hoher neokolonialer
Extraprofite auf dem Balkan und anderer Konkurrenzvorteile keine zwingende
Notwendigkeit, sofort nachzuziehen. Immerhin hätte sie dadurch ja eventuell den
„sozialen Frieden“ gefährdet, einen „Frieden“, von dem sie seit Jahrzehnten
profitiert. Jetzt hat sich die Lage geändert, die Konkurrenzvorteile schmelzen
ab, die Profitrate ist unter Druck, jetzt kann keine Rücksicht mehr auf den
„Sozialpartner“ genommen werden. Das ist die objektive Logik hinter dem
Regierungswechsel. Nichts hat das alles zu tun mit irgendeinem „Wählerwillen“
oder damit, dass die SPÖ weniger Kapitalistenknecht oder „Industriellenfreund“
wäre als die SPD in Deutschland.
Die SPÖ folgt genau wie die anderen
Parteien der Logik des Kapitals, des Profits, daher der Ausbeutung. Jedoch ist
für sie, solange und soweit die Klasseninteressen der Bourgeoisie das zulassen,
das Zuckerbrot wichtig. Das ist die Lebensbedingung für ihren
„arbeiteraristokratischen“ Partei- und Gewerkschaftsapparat und daraus speist
sich auch ihr besonderer Nutzen für die Bourgeoisie. Meistens leistet die
„Sozialpartnerschaft“ der Bourgeoisie gute Dienste. Wenn es aber einmal wirklich
nicht mehr anders geht, gibt sich die Sozialdemokratie auch für einen brutaleren
Kurs her. Fast alle sozialen und wirtschaftlichen Attacken gegen die
ArbeiterInnenklasse im Nachkriegseuropa wurden von der Sozialdemokratie des
jeweiligen Landes geritten, weil sie die ArbeiterInnenklasse einlullen und
niederhalten kann. Allerdings, das ist die „Rache des Montezuma“, tut ihr das
meist auf Sicht nicht gut – was aber für die Bourgeoisie wiederum kein großes
Problem ist, hat sie doch genug andere Parteien im Köcher. Es ist z.B. fraglich,
ob in Deutschland seinerzeit eine CDU-Regierung die sozialdemokratisch-grüne
„Jahrhundertreform“ „Hartz IV“ hätte durchdrücken können, ohne gewaltigen
Widerstand auszulösen. Allerdings wurde die SPD dafür bei den Wahlen auch
ordentlich „abgestraft“. Noch krasser in Frankreich, wo die Sozialdemokratie
ebenfalls einen solchen Kurs verfolgte und bei den letzten Wahlen zertrümmert
wurde. Für die ÖVP stellt sich das angesichts ihrer sozialen, aber auch ihrer
politischen Klassenbasis anders dar. Für die FPÖ als ultrareaktionäre Partei
ähnlich, aber nicht ganz, denn es kann ihr – mit ihrer Masche der „sozialen
Heimatpartei“, vulgo: „Partei des kleinen Mannes“ – passieren, dass sie bei dem
Tempo, mit dem sie alle ihre Wahlversprechen auf sozialem Gebiet bricht, bald
durch den Widerspruch zwischen ihrer Regierungspolitik und ihrer arbeiter- und
volkstümelnden Vorwahlpropaganda zerrieben oder sogar zerrissen wird.
Für die Bourgeoisie stellte sich
die Alternative, entweder mit der bisherigen Koalition weiterzumachen oder einen
Wechsel bzw. eher eine Anpassung scharf nach rechts vorzunehmen. Ersteres hätte
Kontinuität versprochen in puncto arbeiterInnen- und volksfeindlicher Politik
wie auch in puncto „normalem“ Chauvinismus und Rassismus, aber die Versuchung,
die Gunst der Stunde (das Wahlergebnis, das Migrations“problem“, den
„Kurz-Effekt“,…) zu nutzen und zumindest zu versuchen, ohne Rücksicht auf den
„Sozialpartner“ brachial gegen das Arbeits- und Sozialrecht und für noch mehr
Steuerausplünderung vorzugehen, war für die Bourgeoisie groß. Die Kernpunkte des
neuen Regierungsprogramms sind klar: Steigerung der Ausbeutung (durch „Reform“
des Arbeitsrechts), Sozialabbau, Profitförderung (u.a. durch Steuerentlastung
des Monopolkapitals) und eine gehörige Portion an nationalem (gegen die
„Ausländer“) und sozialem Chauvinismus (gegen die „Minderleister“). Das ist das
Rückgrat des neuen Regierungsprogramms. Allerdings war das auch schon das
Rückgrat der SPÖ-ÖVP-Regierungspolitik, allenfalls ein bisschen weniger offen
formuliert, ein bisschen weniger aggressiv und ein bisschen weniger mit
chauvinistischen Parolen aufgeladen, aber keinesfalls weniger „effizient“ im
Sinne der Bourgeoisie 2. Offenbar hat sich in der
Bourgeoisie eine Strömung durchgesetzt, zur Abwechslung wieder einmal auf die
„Sozialpartnerschaft“ eher zu pfeifen bzw. sie zurückzudrängen (mit ihr lassen
sich nämlich viele der angepeilten „Reformen“ zwar auch, aber nicht in diesem
Tempo durchsetzen) und mit rollenden Angriffen gegen ArbeiterInnenklasse und
Volk zu versuchen, den „Reformstau zu beseitigen“ 3. Wenn sich kein oder nur
wenig Widerstand entwickeln sollte, klappt das zumindest eine Zeitlang. Die SPÖ
könnte sich eine Zeitlang im Hintergrund halten, gegen die Regierungskoalition
maulen, sich dort oder da sogar mit ihr anlegen, ohne aber der notwendigen
radikalen „Reform“ ernsthaft im Weg zu stehen. Denn in den großen Zügen und in
den Kernpunkten ist sie denselben „Reformen“ verpflichtet, will sie
„staatstragend“ und „verantwortungsvoll“ bleiben (was sie bei Strafe des
Untergangs muss). Aber sie wäre für den Fall des Falles eines neuerlichen
Regierungswechsels nicht angepatzt. So gesehen ist die ÖVP-FPÖ-Koalition ein
kluger Schachzug der Bourgeoisie. Der „Bonus“ des jungen dynamischen Schnösels
Kurz wird sich wahrscheinlich schnell abnutzen und die FPÖ wird in die Mühle
geraten zwischen ihrer tatsächlichen Politik und ihrer Wählerbasis bzw. den
dieser gegebenen Versprechungen und Illusionen, d.i. zwischen ihrer politischen
und ihrer sozialen Basis. Die Bourgeoisie hätte dann für den Fall des Falles
eine „unverbrauchte“ SPÖ-Option im Köcher.
Jedenfalls probiert es die
Bourgeoisie jetzt einmal ohne SPÖ in der Regierung. Wer hat das entschieden?
„Der Wähler“? Die Herren Kurz und Strache? Auf Basis des „Wählerwillens“, also
des Wahlergebnisses hätte man genauso eine Koalition aus SPÖ und ÖVP (113 von
183 Sitzen) oder sogar SPÖ und FPÖ (105 von 183 Sitzen) bilden können (worauf
ein Teil der SPÖ ohnedies schon einige Zeit hinarbeitet). Wieso kam dann die
ÖVP-FPÖ-Koalition heraus? In die Regierung gehievt wurde die ÖVP-FPÖ-Koalition
nicht etwa durch einen „Wählerwillen“, sondern durch die Bourgeoisie. Die
Regierung ist der geschäftsführende politische Ausschuss der Bourgeoisie, die
politische Repräsentanz des ideellen Gesamtkapitalisten. Die Bourgeoisie
probiert es halt jetzt einmal mit einer ÖVP-FPÖ-Koalition. Man muss sich das
nicht so vorstellen, dass irgendwo ein Strippenzieher sitzt, der die
Gesamtinteressen der Klasse verkörpert. Es wird innerhalb der Bourgeoisie immer
verschiedene Abteilungen (in ökonomischer Hinsicht) und Strömungen (in
politischer Hinsicht) geben, es wird Widersprüche, Meinungsverschiedenheiten und
Richtungskämpfe geben und diese vermitteln sich über die diversen
Bourgeoisparteien, die diversen Bourgeoismedien – und die Bourgeoiswahlen. Eine
gewisse „Vielfalt“ ist nachgerade ein Muss der Bourgeoisdemokratie. Ein
unerwartetes „Wählervotum“ kann da zwar manchmal (sehr selten, nur unter
Bedingungen verschärfter Klassenwidersprüche) hineinpfuschen, ändern kann es
nichts. Die Frage ist, ob die Bourgeoisie bzw. die Richtung, die sich
durchsetzt, einen aggressiveren oder gemäßigteren Kurs steuern will, wie sie
Peitsche und Zuckerbrot miteinander kombinieren will, ob sie mehr oder weniger
(oder ggf. gar keine) „Sozialpartnerschaft“ einsetzen will usw. So kommt dann
eben die eine oder andere Partei zum Zug oder nicht zum Zug. Spießt es sich,
macht man solange Neuwahlen, bis es klappt (Spanien). Kommt man einmal wirklich
um einen unerwünschten Kandidaten nicht herum (wie seinerzeit um die Syriza in
Griechenland) dreht man diesen um oder lässt ihn in eine Krise rauschen (z.B.
einen Korruptionskrise, alle Dossiers dafür liegen ja in den Schubladen) und
stürzt ihn. Bei unberechenbaren Entwicklungen kann man über das Geld und die
Medien, die einem gehören, eingreifen. Man kann auch den Bundespräsidenten
eingreifen lassen – wie gerade in Deutschland. Dort wird der Eindruck erweckt,
der Herr Steinmeier hätte das Ruder in Richtung einer CDU-SPD-Koalition
herumgerissen; aber der Herr Steinmeier wäre gar nichts, hätte er nicht eine
Mehrheit der herrschenden Klasse hinter sich. Beim österreichischen Van der
Bellen sieht man ebenfalls, wozu man ihn gewählt hat. Die
„Richtungsentscheidung“ anlässlich der Bundespräsidentenwahl entpuppt sich im
Nachhinein als riesige Farce. Um die neue ÖVP-FPÖ-Regierung anzugeloben, hätte
man genauso den Herrn Hofer wählen können. Und jetzt macht er sogar schon,
anlässlich der „Neujahrsansprache“, indirekt Propaganda für die neue Regierung,
ihre „Chancen“, ihre „Verantwortung“ etc. Ekelerregend!
Wie wird sich die SPÖ verhalten?
Sie tritt klarerweise gegen die neue Regierungskoalition auf, aber sicher nicht
gegen sie an. Sie hätte selbst gerne mit der ÖVP oder auch mit der FPÖ eine
Koalition gebildet, wenn es sich so ergeben hätte. Jetzt wird ein bisschen
protestiert und gemault, aber nur ein bisschen, denn gegen die allermeisten
Punkte des Regierungsprogramms hat sie ja der Sache nach ohnehin nichts
einzuwenden, allenfalls gegen einige „Exzesse“, den Tonfall und einiges
chauvinistische und rassistisch-„völkische“ Beiwerk. Für den Fall, dass jemand
im ÖGB das anders sehen sollte, betonte ÖGB-Boss Foglar vorsorglich schon die
„politische Neutralität der Gewerkschaften gegenüber der Regierung“.
Insbesondere erklärte er, dass der ÖGB nicht an allfälligen den
Anti-Regierungsdemonstrationen teilnehmen werde. Eine interne Dienstanweisung
verbietet es ÖGB-Funktionären, auf regierungsfeindlichen Demonstrationen
aufzutreten. Natürlich gehen der SPÖ durch die Oppositionsrolle ein paar Posten
und Pfründen zeitweilig verloren, aber dafür kann sie sich darauf vorbereiten,
in den Startlöchern zu stehen, wenn es mit der jetzigen Regierung einmal nicht
mehr klappen sollte, also spätestens in fünf Jahren. Bis dahin würde sie sich
nicht nur nicht mit neuen Schandtaten beschmutzt (auch wenn sie vielleicht im
Hintergrund daran mitgewirkt hat, manchmal direkt, manchmal nur durch
Stillhalten), sondern auch die alten zum Teil vergessen gemacht haben. Auch die
deutsche Sozialdemokratie hatte unmittelbar nach ihrer Wahlschlappe – aus
eigener Entscheidung – auf so einen Weg gesetzt – allerdings ist die dortige
Bourgeoisie gerade dabei, sie wieder umzudrehen.
- Zu Bedingungen und Orientierung des Klassenkampfs angesichts der schwarz-blauen Regierung
Zwar findet die österreichische
Bourgeoisie ihre politischen Repräsentanten in allen maßgeblichen politischen
Parteien und gehören alle diese Parteien zum Klassenfeind. Da aber zwei von
ihnen derzeit die Regierung bilden, muss der Hauptstoß in politischer Hinsicht
derzeit gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung als den derzeitigen geschäftsführenden
politischen Ausschuss der Bourgeoisie gerichtet werden. Dies darf indes nicht
dazu führen, hinter dem schwarz-blauen Gesindel die Bourgeoisie verschwinden zu
lassen und womöglich die SPÖ auszusparen oder sie gar als „kleineres Übel“ zu
schonen. (Dasselbe gilt für den ultra-neoliberalen und zugleich
ultra-reaktionären Ableger des rechten Flügels der ÖVP, die „Neos“, oder die
Liste Pilz.)
Muss man aber vielleicht dennoch in
erster Linie auf die FPÖ fokussieren? Natürlich ist die FPÖ eine
ultrareaktionäre Partei und hat sie einige Besonderheiten, insbesondere einen
beträchtlichen faschistischen Flügel, der etwa ein Drittel dieser Partei
ausmacht und im Parlament und wohl auch bald in den von ihr besetzten Teilen des
Staatsapparats überproportional vertreten ist/sein wird. Allerdings wurde sie
von vielen ihrer Wähler nicht deshalb gewählt. Natürlich wird die FPÖ, auch der
staatsmännisch gewordene Strache, immer wieder ultrareaktionäre Vorstöße
unternehmen, die noch über das Regierungsprogramm hinausgehen, allein schon um
immer wieder von ihrer arbeiterInnen- und volksfeindlichen Politik in Fragen
Arbeitsrecht, Sozialsystem, Demokratie etc. abzulenken – aber von Kurz und
Konsorten muss man ähnliches erwarten. Vielleicht wird es unter einem
FPÖ-Innenminister zu noch mehr polizeilichen und geheimdienstlichen „Exzessen“
kommen als unter seinem ÖVP-Vorläufer Sobotka, aber nur vielleicht, denn auch
der hat es bereits heftig getrieben. Es sind alle diese Bösartigkeiten durchaus
nicht der FPÖ vorbehalten. Die Führungsmannschaft der ÖVP ist um nichts besser
als die FPÖ. Inwiefern sind denn ein Kurz mit seinem unverhohlen zur Schau
getragenen Rassismus, ein Blümel mit seinem exzessiven Sozialchauvinismus (d.h.
einem Chauvinismus der „Leistungsträger“ bzw. „Leistungswilligen“), ein Sobotka
mit seinen faschistischen Träumen und Ausritten in puncto Polizeistaat,
Scharfmacher wie Stelzer und Mikl-Leitner mit ihrer Handhabung der
Flüchtlingsfrage in OÖ und NÖ weniger reaktionär als ein Strache? O.K. sie waren
nicht in Nazi-Wehrsportgruppen und haben keinen Schmiss, aber sonst? Die Kurz,
Sobotka, Mikl-Leitner, um nur einige der prominentesten Beispiele zu nennen,
haben im letzten Jahr die FPÖ, jedenfalls die etwas weichgespülten Herren
Strache und Hofer, rechts überholt.
Ähnliches gilt auch von Teilen der
SPÖ. Ein Doskozil beteiligte sich zwar nicht an der offen rassistischen Hetze
eines Kurz, ließ aber in der Praxis keine Gelegenheit aus, um zu demonstrieren,
dass er mit dem ÖVP-Innenminister Sobotka ein Herz und eine Seele ist. Und
dieser Mann wurde im Wahlkampf von Kern zu seinem Quasi-Stellvertreter aufgebaut
und als Zukunftshoffnung und Superminister der Sozialdemokratie gehandelt. Ein
Niessel im Burgenland betreibt dort eine Flüchtlingspolitik, die der in OÖ und
NÖ um nichts nachsteht. Kern selbst hat die reaktionäre Flut, die im Vorjahr
über uns hereinbrach, mitgetragen, er hat sich bloß verbal nicht so exponiert
und ist bei einigen Fragen, z.B. der islambezogenen Hetze des Kurz, bei seinem
Traum, das Mittelmeer militärisch abzusperren und dort Flüchtlinge abzuschießen,
und bei ähnlichen „Exzessen“ nicht mitgegangen. Aber in den wirklich wichtigen
und auch realistischen Kernpunkten? Der ganze Wahlkampf der SPÖ zielte darauf,
Kurz und Strache mindestens zu matchen. Auch auf eine eventuelle Koalition
berechnete Kontakte mit der FPÖ gab es auf mehreren Ebenen. Niessel oder
Doskozil sind keine Ausreißer. Allerdings, das ist wahr, es tragen nicht alle
Teile und Mitglieder der SPÖ-Basis das mit. Weshalb sich das auch in
entsprechenden Widersprüchen ausdrückte und ausdrückt (z.B. in Wien, wenn man an
ein paar Äußerungen Häupls oder der inzwischen abservierten Frau Wehsely
denkt).
Die SPÖ ist ebenfalls eine
politische Repräsentanz des Klassenfeinds. In jeder Hinsicht, vom Sozialabbau
bis zum Polizeistaat, betreibt sie seit eh und je das Geschäft der Bourgeoisie.
Im Kern schweben ihr dieselben „Reformen“ vor wie der neuen Regierungskoalition
und sie arbeitete ja auch bisher schon in der Regierung gemeinsam mit der ÖVP
daran. Auch wenn die „neue“ Politik noch so neu daherkommt – an vielen und vor
allem an den entscheidenden Fragen ist es die alte Politik. Die SPÖ ist
keinesfalls ein „kleineres Übel“ – und nicht selten entpuppt sich das „kleinere
Übel“ alsbald als das größere. Auch im Kampf gegen die derzeitige Regierung darf
man ihre bisherige Rolle als Mittäter und ihre zukünftige als potentieller
Nachfolger der jetzigen Regierung, sobald diese einmal – aus Sicht der
Bourgeoisie – politisch abgewirtschaftet haben wird, nicht vergessen. Was immer
sie jetzt schwätzt, in ein paar Jahren wird voraussichtlich sie wieder die
Regierungsgeschäfte übernehmen und das Werk der ÖVP-FPÖ-Regierung fortsetzen,
vielleicht in andere Worte gehüllt, mit ein bisschen anderen Methoden, aber der
Sache nach gleich, denn eine Politik, die auf Steigerung der
„Wettbewerbsfähigkeit“ des österreichischen Kapitals, ergo dessen auf Steigerung
der Ausbeutung und Ausplünderung, ergo dessen auch der Repression zielt, ist
halt nun einmal im Wesentlichen „alternativlos“ – solange man nicht auf den
Sturz des „alternativlosen“ Systems Kurs nimmt. Die SPÖ ist auch nach wie vor
der ideologische Hauptfeind in der
ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung.
Nochmals zurück zur FPÖ. Zur
Beurteilung der Frage, wer wie schlimm und gefährlich ist in puncto
Polizeistaat, Faschisierung, Chauvinismus etc., sind nicht die Nazireminiszenzen
einiger jetzt in Parlament und Regierung sitzenden faschistischer
Burschenschafter, sondern das Regierungsprogramm und seine praktische Umsetzung,
soweit es von der inneren und äußeren „Sicherheit“, von der Aufrüstung und
Militarisierung der Polizei, von der Polizeiisierung und „Profilschärfung“ der
Armee usw. handelt. Und hier findet sich kaum etwas, was nicht im Kern auch die
bisherigen Regierungen massiv betrieben hätten. Vielleicht gibt es Nuancen
zwischen einem Kickl als Innenminister oder einem Sobotka – aber nur allenfalls
Nuancen, denn bei beiden handelt es sich um Leute mit einem faschistoiden
Persönlichkeitsprofil. Vieles von dem, was im Regierungsprogramm steht, wurde
bereits von der SPÖ-ÖVP-Regierung vorbereitet oder in Angriff genommen (wenn
auch nicht immer und vor allem nicht mit denselben Worten hinausposaunt) und es
wäre in jedem Fall, bei jeder Regierungskonstellation, weitergeführt worden.
Auch was gegenüber Flüchtlingen im ganzen Land und besonders krass in OÖ, NÖ,
Burgenland praktiziert wurde und wird, bedurfte nicht überall der Mitwirkung der
FPÖ. Kern dachte sich sicher etwas (oder auch nicht), als ihm am 19.12.2017
entschlüpfte, für dieses Regierungsprogramm hätte man nicht die SPÖ durch die
FPÖ ersetzen müssen. Aus diesem Grund braucht man übrigens auch der
„Machtkonzentration“, die sich daraus ergibt, dass die FPÖ den Innen- und
Kriegsminister stellt, nicht allzuviel Bedeutung beimessen.
Bei der FPÖ gibt es noch eine
weitere Frage. Ihre Regierungstätigkeit in der Regierung Schüssel (2000-2007)
bestand hauptsächlich darin, Posten und Pfründen an sich zu reißen, keine
Korruptionsmöglichkeit auszulassen und alles an „Programm“ unverzüglich zu
vergessen. Binnen weniger Jahre war ein Drittel der FPÖ-Amtsträger (in NÖ die
Hälfte!) in irgendwelche Strafverfahren wegen Unterschlagung, Untreue,
Korruption, betrügerische Krida usw. verstrickt. Einige dieser Prozesse dauern
bis heute an. Sie wussten oder ahnten zumindest, dass sie nicht lange in der
Regierung bleiben würden, und die paar Jahre galt es auszunutzen. Vielleicht
geht es der Strache-FPÖ ähnlich. Wäre nicht schlecht, denn wer wieviel aus dem
Korruptionstopf, alles sowieso bereits ausgepresster Mehrwert, bezieht, spielt
für uns keine Rolle – Hauptsache dieses Gesindel beschäftigt sich mit nichts
anderem. Ob es allerdings diesmal wieder so kommt, ist nicht sicher, denn die
„Zeichen“ stehen einer Partei wie der FPÖ heute deutlich günstiger als
damals.
Wächst mit der neuen
Regierungskonstellation – wenn schon nicht gleich die Gefahr des Faschismus (des
Ersatzes der bourgeoisdemokratischen durch eine faschistischen Herrschaftsform
der Bourgeoisie), so doch die Gefahr einer forcierteren weiteren Faschisierung
unserer Gesellschaft? In diese Richtung gehende Tendenzen werden sich ziemlich
sicher verstärken – aber sie hätten sich auch unter jeder anderen
Regierungskonstellation verstärkt. Einen „kulturellen“ Unterschied macht es
natürlich aus, wenn offener und lautstarker Rassismus zur Regierungspolitik
wird, wenn deklarierte Nazis salonfähig werden, wenn eine Regierung plötzlich
wieder in der Südtirolfrage und darüber hinaus zündelt 4 oder wenn jemand, der seit
Jahr und Tag gegen die „testosterongesteuerten“ Flüchtlinge hetzt,
Außenministerin wird. Aber das alles ist eher Beiwerk des reaktionären Kurses,
hauptsächlich auf das „politische Klima“ gerichtet und auf Propaganda, oft auch
nur auf Provokation zielend und einen dumpfen reaktionären Bodensatz des
Wählervolks bedienend. Die nächste Ausbeutungs- und Plünderungsoffensive, der
weitere und verschärfte Ausbau des Polizeistaats und noch mehr Schwung bei der
Faschisierung des Staatsapparats – das alles entscheidet sich am Kern der Sache,
nicht an diesem Beiwerk. Es geht um den arbeiterInnen- und volksfeindlichen Kern
des Regierungsprogramms, nicht um sein Beiwerk an Phrasendrescherei. In diesem
Kern aber erkennt man über weite Strecken eine Fortsetzung der bisherige
Regierungspolitik, die bloß nach den Träumen der Kurz und Strache ein wenig
„brutalisiert“, verschärft, beschleunigt werden soll.
Ausbau des Polizeistaats, Anheizen
des staatlichen Chauvinismus und Rassismus, Faschisierungstendenzen machen
allerdings noch keinen Faschismus. Sowieso entscheiden weder die Hinz und Kunz
des Wählervolkes, noch der Sobotka mit seinem Parlament, noch die Kurz und
Strache, über Herrschaftsform und Herrschaftsmethoden der Bourgeoisie. Das
letzte Wort spricht immer die Bourgeoisklasse selbst bzw. die in ihr
dominierende Fraktion und/oder Strömung. Wenn sie keine andere Möglichkeit mehr
sieht, ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten, als mittels eines halbfaschistischen
oder faschistischen Regimes, wird sie nicht zögern. Aber so etwas ist immer mit
Risiken behaftet, denn die offen terroristische Diktatur gegen
ArbeiterInnenklasse und Volk fordert zwangsläufig Widerstand heraus. Wenige
faschistische Regime haben sich über längere Zeiträume gehalten und nach ihrem
Zusammenbruch war die Bourgeoisherrschaft erst recht wieder gefährdet, oft mehr
als zuvor. Die Bourgeoisie wird sich so etwas daher sehr genau überlegen.
Derzeit ist so etwas nicht spruchreif. Sie bereitet sich zwar auf längere Sicht
auch auf eine faschistische Option vor, aber sie hat keinen Grund, die
faschistische Karte beim gegenwärtigen Verhältnis der Klassenkräfte zu ziehen.
Selbst wenn dieser oder jener Minister oder Parteiführer in so eine Richtung
liebäugeln würde, würde er damit nicht durchkommen. Sogar im politischen
Apparat, vom Parlament bis zur Regierung und zur Justiz, hätte er dabei
Probleme. Die Dinge entscheiden sich nicht auf dem politischen Parkett, sie
werden dort nur exekutiert. Ein kluger Schauspieler sagte unlängst, anlässlich
der letzten Wahlen: „Wir wählen nur die Schauspieler, nicht die
Regisseure.“
Die neue Regierung, hört man dort
oder da in „linken“ Kreisen, sei eine „Regierung der Industriellenvereinigung“.
Das stimmt in dem Sinn, dass sie eine Regierung der herrschenden Klasse, der
Bourgeoisie ist. In zweierlei Hinsicht stimmt es aber nicht. Erstens besteht die Bourgeoisie
nicht nur aus der Industriellenvereinigung, auch wenn diese in mancher Hinsicht
deren Speerspitze ist und einer ihrer wichtigsten „think tanks“. Man darf aber
andere Teile der Bourgeoisie und ihre Verbände nicht vergessen, von der
Wirtschaftskammer bis zum Bankenverband, ebenso wenig die Spitzen des
Staatsapparats, von der Ministerialbürokratie bis zum Generalstab, ebenso wenig
die Spitzen des Kultur-, Medien- und Religionsbetriebs. Alle diese Elemente
bilden zusammen die herrschende Bourgeoisklasse. Zwar leben sie alle vom
Mehrwert bzw. Profit und insofern bildet das Finanzkapital (Industrie-,
Handels-, Geldkapital…) das Rückgrat der Klasse, aber nur auf die
Industriellenvereinigung zu schauen, greift zu kurz. Zweitens stellt sich die Frage,
wessen Werkzeug die ÖVP-FPÖ-Regierung denn sonst sein sollte oder könnte. Könnte
irgendeine Regierung im heutigen Österreich etwas anderes sein als eine
Regierung der „Industriellenvereinigung“ (wenn wir diese als symbolisch für die
Gesamtbourgeoisie durchgehen lassen)? War irgendeine Regierung je etwas anderes,
seit die österreichische Bourgeoisie nach dem Zweiten Weltkrieg wieder fest im
Sattel sitzt? Eben! Die Formulierung „Regierung der Industriellenvereinigung“
legt vielen, die sie benutzen, nahe, eine Bundesregierung müsse sich ja nicht
zum Knecht der Industriellenvereinigung machen, sondern könnte auch anders. Das
genau kann sie aber nicht. Auch jede SPÖ-Regierung, sogar die „gute“ unter
Kreisky, war eine Regierung der Bourgeoisie, also wenn man so will, eine der
„Industriellenvereinigung“. Sie war sogar eine der, wenn nicht die bedeutendste und erfolgreichste
„Regierung der Industriellenvereinigung“, denn sie hat mit ihren
„Modernisierungen“ in schwerer Konkurrenznot die Bourgeoisie wieder auf die
Beine und hoch gebracht. Die Klasseninteressen der Bourgeoisie sind klar
bestimmt, bei deren Missachtung wird es eine Regierung nicht lange geben. Es
geht immer nur darum, mit welcher Politik, mit welchen Mitteln, auch mit welchem
„Stil“ die Interessen der Bourgeoisie vertreten werden, nicht aber dass diese
Interessen die Regierungstätigkeit bestimmen. Daher muss man drittens bei der Analyse und Kritik
der Regierungspolitik zuerst die objektive Lage des Kapitals, seine Probleme,
seine Interessen analysieren und – auf der anderen Seite – den Kerninhalt des
neuen Regierungsprogramms. Dann kann man auch unterscheiden, was tatsächlich für
die Bourgeoisie als Klasse wichtige „Reformprojekte“ sind und was nur
propagandistische Girlanden. Viele Punkte des Regierungsprogramms sind nur
Rülpser, Rülpser freilich, die ein bezeichnendes Licht werfen, wes Geistes
Kinder die Kurz und Strache sind, aber tatsächlich wenig bedeutsam für die
Bourgeoisie (manchmal sogar, wie z.B. die Doppelstaatsbürgerschaft für
Südtiroler und Alt-Österreicher, würden sie ernsthaft in Angriff genommen,
kontraproduktiv). Auch solche Rülpser muss man auf der ideologischen Ebene
bekämpfen, aber sie sind nicht entscheidend für die Einschätzung der realen
Bedrohungen und Gefahren, die von dieser Regierung ausgehen, und für die
Identifizierung der Hauptlinien des Kampfes gegen sie. Man darf sich nicht von
diesen Rülpsern vereinnahmen und blenden lassen. Geht man richtig an das
Regierungsprogramm heran, d.h. von einem Klassenstandpunkt aus und ohne sich
durch chauvinistische, rassistische und sonstige Rülpser blenden zu lassen, dann
kann man die weitgehende Einhelligkeit aller relevanten Parteien in den „großen
Reformprojekten“ sehen. Schaut man dagegen nur auf die ultraliberalen,
chauvinistischen und rassistischen Rülpser, schneidet natürlich die SPÖ mit
ihren verhaltenen und sublimierten Rülpsern besser ab. Genau das nämlich wäre
verhängnisvoll: den Klassenkampf, darunter auch den demokratischen Kampf gegen
Reaktion und tendenzielle Faschisierung, auf den Kampf gegen die derzeitige
Regierungskonstellation zu verengen, die SPÖ außen vor zu lassen und sich so zum
Steigbügelhalter einer bloß anderen, der nächsten kapitalistischen und
imperialistischen Regierungstruppe der Bourgeoisie zu machen.
Zusammenfassend:
ArbeiterInnenklasse und Volk müssen in Verteidigung ihrer Interessen den
Hauptstoß gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung richten. Das gilt für die
gewerkschaftliche Ebene ebenso wie für viele Fragen auf politischem und
ideologischem Gebiet. Überall müssen Aktionseinheiten und – im besten Fall –
solide Einheitsfronten gegen diesen derzeitigen politischen Hort der Reaktion in
Österreich aufgebaut werden. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass diese
politische Reaktion zwar der derzeitige politische Repräsentant der Bourgeoisie
ist, aber eben nur ihr derzeitiger Repräsentant. Ihr ebenso willfähriges
Werkzeug war, ist und bleibt die Sozialdemokratie. Und wahrscheinlich stehen wir
bald einmal wieder dieser als Regierungsrepräsentanz des Kapitals gegenüber –
dann sollten wir darauf vorbereitet und auch dafür gewappnet sein. In
strategischer Hinsicht muss daher der Klassenkampf gegen die Bourgeoisie
insgesamt gerichtet werden, alle ihren politischen, gewerkschaftlichen,
medialen, kulturellen usw. Wasserträger inbegriffen. Und er muss auf Sturz des
kapitalistischen Systems zielen.
Auf den Sturz des kapitalistischen
Systems, nicht auf den „Sturz der Regierung“. Einige linke Kreise propagieren
nämlich den „Sturz der Regierung“. Wir haben natürlich prinzipiell überhaupt
nichts gegen einen Sturz der Regierung, aber den „Sturz der Regierung“ in der
heutigen Situation, wo ja an einen Umsturz des Systems gar nicht zu denken ist,
zu fordern, ist nicht nur ein absoluter Holzweg, sondern ein absoluter
Schwachsinn. Es würde darauf hinauslaufen, die jetzige Regierung zu „stürzen“,
besser: im Auftrag der herrschenden Klasse ablösen zu lassen – um einer anderen
Bourgeoisregierung Platz zu machen, einer mit einer vielleicht etwas
modifizierten, aber genauso reaktionären Politik. Das klingt in manchen Ohren
vielleicht „konkreter“ als die strategische Orientierung auf den Sturz des
kapitalistischen Systems, ist aber unter den gegebenen Bedingungen, weit von
einer revolutionären Situation entfernt, vollständig „abstrakt“, eine der
Realität entrückte sinnentleerte Redensart 5. Aber eine mit schädlichen
politischen Konsequenzen, denn „konkret“ könnte es, hier und heute als Parole
für den Klassenkampf erhoben, nur auf eine neuerliche SPÖ-Regierung oder eine
Koalition unter SPÖ-Beteiligung hinauslaufen. Wie wäre es z.B., nach dem „Sturz
der Regierung“ und wenn es trotzdem alleine nicht reicht, mit einer
SPÖ-FPÖ-Koalition? Wie schon gesagt: Der Klassenkampf muss gegen die Bourgeoisie
insgesamt gerichtet werden und auf Sturz des kapitalistischen Systems zielen.
Dass in einer revolutionären Situation das Ziel im Sturz der Regierung besteht,
versteht sich von selbst – aber in einer Situation wie heute von „Sturz der
Regierung“ zu schwafeln, ist bull shit.
1
Das Regierungsprogramm der ÖVP-FPÖ-Regierung „Schüssel I“ aus dem Jahr 2000,
gegen das damals 300.000 demonstrierten, ist zwar ebenfalls ein reaktionäres
Machwerk, aber es hört sich für heutige Ohren und im Vergleich zum neuen
ÖVP-FPÖ-Regierungsprogramm recht zahm und zahnlos an. Ein Vergleich der beiden
Dokumente lohnt sich. So etwas wie das Schüssel-Haider-Regierungsprogramm würde
heute gar nicht mehr besonders auffallen, entspräche vielmehr voll dem
„Zeitgeist“ und würde nicht einmal mehr 10.000 auf die Straße locken. So ändern
sich die Zeiten.
Ein wesentlicher Punkt des
Regierungsprogramms ist die Beseitigung der Notstandshilfe und ihre
„Zusammenführung“ mit der „Mindestsicherung“. Sogar (oder vielleicht eher:
gerade) die „Presse“ schrieb am 18.12.2017: „ÖVP und FPÖ planen bei Arbeitslosen
einen Paradigmenwechsel. Es sieht danach aus, dass ein System wie Hartz IV in
Deutschland eingeführt wird.“ So ist es! Bloß freut sich die „Presse“ darüber.
„Hartz IV“ in Deutschland, das zur Verarmung von 15 Millionen Menschen (darunter
3 Millionen Kindern) in Deutschland beigetragen hat, wurde von der deutschen
Sozialdemokratie unter dem Kanzler Schröder eingeführt (unter Mitwirkung der
Grünen). Ein potentielles österreichisches „Hartz IV“ wurde 2010 von der
SPÖ-ÖVP-Regierung mit dem „Mindestsicherungsgesetz“ potentiell vorbereitet und
von der SPÖ in den Himmel gelobt. Jetzt soll mit dem potentiellen „Hartz IV“ in
Österreich ernst gemacht werden. So oder so stand das auf der kapitalistischen
Tagesordnung – jetzt wird es halt von ÖVP-FPÖ umgesetzt und die SPÖ kann sich
freuen, dass – anders als ihre Schwesterpartei SPD – nicht sie den Schwarzen
Peter hat.
Allerdings ging der letzte Versuch,
das „Ende der Sozialpartnerschaft“ herbeizuführen, in die Hosen. Die
ÖVP-FPÖ-Regierung Schüssel wurde 2007 abgewählt, mit Schüssel war es vorbei und
die FPÖ befand sich in einer veritablen Krise (Abspaltung BZÖ,
Wahlniederlage).
Die neue Regierung möchte
Südtirolern „deutscher oder ladinischer Muttersprache“, aber auch sonstigen
nicht näher definierten „Alt-Österreichern“ (also offenbar „Volksdeutschen“ oder
heute „Volksösterreichern“ aus den ehemaligen habsburgischen Kronländern) die
Doppelstaatsbürgerschaft anbieten (Regierungsprogramm S.33). Die betroffenen
Staaten werden sich über so ein, erstmals seit 1918 gemachtes Angebot freuen!
Die Doppelstaatsbürgerschaft von Südtirolern und „Alt-Österreichern“ ist ohne
ernsthafte Konfrontation mit Italien (und wahrscheinlich auch den allermeisten
Südtirolern) und anderen Nachbarstaaten nicht realisierbar und wenn, dann nur
mit schweren ökonomischen und politischen Retorsionsmaßnahmen Italiens und
dieser Staaten. Es wird auch spannend, was die österreichische Export- und
Importwirtschaft dazu sagt, wenn dem tatsächlich näher getreten werden sollte.
(Dieser Schwachsinn findet sich übrigens kurioserweise in dem Kapitel
„Migrationspolitik“ des Regierungsprogramms – wahrscheinlich weil es ein Kapitel
„Großösterreich und Doppeladler“ in diesem Schriftwerk nicht gibt.)
Wohin einen so etwas führen
kann, zeigt z.B. „Der Funke“ (ein trotzkistisches Grüppchen in der SPÖ): „Die
Gesamtbewegung (soll) sich den Sturz der Regierung auf die Fahnen heften. Wir
verstehen dabei, dass die ArbeiterInnenbewegung, ohne die ein solches Ziel nicht
erreichbar ist, Zeit brauchen wird, die falsche Politik (?) der Führung ihrer
(?) Organisationen ernsthaft herauszufordern (?) und zu überwinden (?)… Mit
einem anderen Programm und richtigen Methoden kann die ArbeiterInnenbewegung
diese Regierung jederzeit stürzen, dies dürfen wir nicht vergessen.“ Hier wird
behauptet, dass die SPÖ, die ja „eigentlich“ eine „Arbeiterorganisation“ sei,
seit mehr als 100 Jahren das, was sie macht, nur macht, weil sie eine „falsche
Politik“ betreibt – und nicht etwa weil sie allerspätestens 1914 auf die Seite
der Bourgeoisie übergeschwenkt ist und sich seither ihr Klassencharakter
geändert hat; und dass man deshalb in und für diese Partei arbeiten müsse (wenn
auch seit Anbeginn des trotzkistischen „Entrismus“ sinn-, nutz- und erfolglos).
Im Vergleich zu so einem Schmarren sind sogar die Ritter des „kleineren Übels“
noch „linker“, weil sie weniger Illusionen verbreiten. Die ArbeiterInnenbewegung
„kann diese Regierung jederzeit stürzen“? Aber nur, wenn man das so versteht,
dass man auf eine Krise dieser Regierung setzt und auf ein Interesse der Bourgeoisie, diesen
Sturz zu bewerkstelligen, und durch diesen Sturz wieder die Sozialdemokratie an
die Regierungsmacht kommt. In dasselbe Horn stoßen auch andere reformistische
und trotzkistische Kreise. Die RKOB z.B. preist wie immer und überall ihr
Wundermittel „Generalstreik“ an und propagiert „Proteste bis hin zum
Generalstreik um die Regierung der Industriellenfreunde und Reichen zu Fall zu
bringen“. Und die bisherige SPÖ-ÖVP-Regierung war keine Regierung der
Industriellenfreunde und Reichen? Und die nach so einem hypothetischen
„Generalstreik“ vermutlich emporkommende neue SPÖ-geführte Regierung wird keine
Regierung der Industriellenfreunde und Reichen sein? Außerdem: Mit Floskeln wie
der von den „Industriellenfreunden und Reichen“ lenkt man vom Kapitalismus ab
und auf einige seiner „Exzesse“ hin, was ebenfalls dem Klassenbewusstsein
abträglich ist.
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IA.RKP Initiative für den Aufbau einer Revolutionär Kommunistischen Partei Stiftgasse 8 A 1070 Wien, Österreich ia.rkp2017@yahoo.com www.iarkp.wordpress.com
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